Veröffentlicht am 29.01.2009

Flüchtlingsrat lehnt geplante Schülerdatei ab – Verbot der Datenübermittlung gefordert

Pressemitteilung vom 29.01.2009

Der rot-rote Berliner Senat plant die Erfassung aller Berliner Schüler in einer zentralen Berliner „Schülerdatei“ nach Hamburger Vorbild.(1) Die ursprünglich bereits für heute geplante endgültige Verabschiedung des Gesetzes im Abgeordnetenhaus wurde aufgrund der öffentlichen Kritik von Schüler- und Elternverbänden zunächst um 3 Wochen vertagt.


Bereits vor Beginn der Schulpflicht sollen Name und Geburtstag aller Kinder, Anschrift und Telefonnummer der Eltern sowie Angaben zu nichtdeutscher Herkunftssprache und zu Behinderungen des Kindes erfasst werden. Im weiteren Verlauf werden u.a. Verstöße gegen die Schulpflicht erfasst. Jedes Berliner Schulkind erhält eine landeseinheitliche Schülernummer. Zugriff auf die bei der Senatsverwaltung für Schulwesen geführte Schülerdatei erhalten u.a. Strafverfolgungs- und Polizeibehörden, Jugend- und Gesundheitsämter.

Erklärter Zweck der Schülerdatei ist es, zugleich Daten für die Bildungsplanung zu gewinnen und die Arbeit der Polizei- und Justizbehörden bei der Verfolgung von Straftaten und Schulschwänzern zu erleichtern.(2) Im Zusammenwirken mit vorhanden Dateien wie dem Melderegister und dem Ausländerzentralregister sowie Gesetzen wie dem Aufenthaltsgesetz und dem Berliner Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz werden durch die neue Datei die Möglichkeiten der Polizei erheblich erweitert, gegen Kinder ohne legalen Aufenthaltstitel und ihre Eltern zu ermitteln. Die Datei erleichtert es auch, Kinder zwecks Abschiebehaft und Abschiebung ggf. in der Schule festzunehmen.(3) Zwar erhält die Ausländerbehörde keinen unmittelbaren Zugriff auf die Datei, wohl aber die in ihrem Auftrag wegen illegalen Aufenthalts ermittelnden und Abschiebemaßnahmen und -haft auch vollziehenden Polizeibehörden.

Kindern ohne legalen Aufenthaltstitel sowie Kindern, denen akut eine Aufenthaltsbeendung droht, z.B. Inhaber einer „Grenzübertrittsbescheinigung“, ist im Hinblick auf die Datei vom weiteren Schulbesuch abzuraten. Bereits bisher war in Berlin aufgrund der berechtigten Ängste von Eltern und Schulen ein Schulbesuch von Kindern ohne legalen Status nur in Ausnahmefällen realisierbar.(4) Künftig hinge in Berlin dank Schülerdatei das Recht des Kindes auf Bildung vom Aufenthaltstitel ab. Dies wäre ein weiterer Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention, die in Art. 28 das Recht eines jeden Kindes auf Schulbildung garantiert.

* Der Flüchtlingsrat fordert den Berliner Senat auf, auf die geplante Schülerdatei zu verzichten und einen Schulbesuch unabhängig vom Aufenthaltstitel zu gewährleisten.(5)

* Der Flüchtlingsrat fordert den Berliner Senat auf, sich auf Bundesebene für ein klares gesetzliches Verbot der Übermittlung der Daten von Schülern und Kitakindern (sowie von Patienten) an Polizei, Justiz- und Ausländerbehörden zum Zweck der Verfolgung aufenthaltsrechtlicher Verstöße einzusetzen.(6)

Berlin, 29. Januar 2009
Flüchtlingsrat Berlin


1) Anders als in Hamburg soll in Berlin der Aufenthaltsstatus (noch?) nicht erfasst werden und die Ausländerbehörde (noch?) keinen Zugriff erhalten. Unter Hinzuziehung der Polizei als Ermittlungsbehörde sowie vorhandener Dateien und Datenübermittlungsmöglichkeiten (u.a. Melderegister, Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz – ASOG; Aufenthaltsgesetz – AufenthG) erhält die Ausländerbehörde aber indirekt auch den Zugriff auf die Schülerdatei.

2) Justizsenatorin von der Aue, PE v. 17.04.08: „Diese Schülerdatei ist eines der wichtigsten Mittel, um effektiv gegen Schulschwänzer und junge Straftäter vorzugehen. Wir können nicht länger darauf warten.“ Auch beim Aufenthalt ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel handelt es sich nach dem Ausländerrecht um eine „Straftat“, ggf. auch bei der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt (§§ 95, 96 AufenthG).

3) Abschiebehaft darf offiziell erst ab 16 Jahren verfügt werden. In der Praxis der Berliner Polizei wird die Abschiebehaft jedoch an Kindern jeden Alters vollzogen, wenn ihre Abschiebung für den Folgetag geplant ist.

4) Klärungsbedarf besteht bei den Schulen etwa, ob und inwieweit Schule und Lehrer sich durch die wissentliche Aufnahme von Kindern ohne legalen Aufenthaltstitel strafbar machen könnten (unseres Erachtens: nein), welche versicherungsrechtlichen Folgen der Schulbesuch haben kann, und ob das aufgenommene Kind bei der Berechnung der Zuweisung von Mitteln an die Schule berücksichtigt werden kann.

5) Es reicht, wenn Schülerdaten zu Verwaltungszwecken auf Schulebene gespeichert werden. Für Zwecke der Bildungsplanung ist die Weitergabe nicht personalisierter, kein Rückschlüsse auf Einzelne zulassende Daten unter Verzicht auf eine zentrale Speicherung völlig ausreichend. Die Übermittlung von Schülerdaten an Polizei- und Justizbehörden ist grundsätzlich abzulehnen.

6) Nach § 87 AufenthG müssen „öffentliche Stellen“ umgehend die zuständigen Polizei- und Ausländerbehörden informieren, wenn sie vom Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz erfahren (illegaler Aufenthalt, Residenzpflichtverstoß usw.). Zwar ist umstritten, ob und welchen Fällen diese Übermittlungspflicht auch für staatliche Schulen, Kindertagesstätten und Krankenhäuser gilt. Das Bundesinnenministerium (BMI) geht aber von einer Übermittlungspflicht aus (Bericht des BMI „Illegal aufhältige Migranten in Deutschland – Datenlage, Rechtslage, Handlungsoptionen, Februar 2007“. Vgl. dazu auch www.forum-illegalitaet.de > Presse > Stellungnahme zum Bericht des BMI zum Prüfauftrag Illegalität, sowie PE v. 16.05.05 zum Vorgehen gegen Kindergartenkinder ohne Aufenthaltstitel. Nötig ist deshalb ein klares bundesgesetzliches Verbot der Datenübermittlung zur Verfolgung aufenthaltsrechtlicher Verstöße im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Kinderbetreuungs- und Bildungsangeboten, von medizinischen Hilfeleistungen sowie von Rechtschutz etwa im Arbeitsrecht. Denkbare Schritte im Hinblick auf eine Gesetzesänderung wären Berliner Bundesratsinitiativen, Initiativen der regierenden Fraktionen im Bundestag, sowie die Aufnahme in die Koalitionsvereinbarung für die nächste Legislaturperiode.





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