Veröffentlicht am 12.02.2003

Flüchtlingsrat zur Abschaffung der Chipkarte und Anmietung von Wohnungen

Presseerklärung des Flüchtlingsrats Berlin vom 12. Februar 2003 und Presseecho

Der Flüchtlingsrat Berlin begrüßt die Entscheidung von Sozialsenatorin Knake-Werner, den Vertrag mit der Firma SODEXHO zur Gewährung der Sozialhilfe per Chipkarte (Infracard) zum 30. Juni 2003 zu kündigen.


Damit endet für ca. 3000 Asylbewerber ein Zustand sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung. Die Flüchtlinge konnten mit der von dem französischen Unternehmen geschaffenen Chipkarte nur in wenigen Geschäften einkaufen, darunter kein einziger Niedrigpreisladen wie Aldi, Penny oder Lidl. Die Geschäfte sind meist nicht zu Fuß erreichbar, so dass die Asylbewerber aus ihrer ohnehin um 30 % gekürzten Sozialhilfe erhebliche Fahrtkosten zum Einkaufen zahlen müssen. Die Flüchtlinge können mit der Chipkarte keine Dinge wie Schulmaterial für ihre Kinder bezahlen, ganz zu schweigen von Anwaltsgebühren, die zur Vertretung im Asylverfahren notwendig sind. Die Flüchtlinge erhalten einen Bargeldbetrag von lediglich 1,36 EURO /Person/Tag, um ihrem Bedarf an Fahrgeld, Porto, Telefon, Anwaltskosten, Genussmittel etc. zu decken.

Mit der Abschaffung der Chipkarte verbindet der Flüchtlingsrat nicht in erster Linie finanzielle Aspekte. Vielmehr betrachtet der Flüchtlingsrat das Chipkartensystem – ebenso wie das in Berlin für asylsuchende und geduldete Flüchtlinge über Jahre geltende faktische Arbeits- und Ausbildungsverbot – als Diskriminierung und Ausgrenzung, die es zu beenden gilt.

Die Entscheidung der Sozialsenatorin ist ein Schritt in die richtige Richtung. Für die Versorgung der Mehrzahl der in Berlin lebenden Flüchtlingen tragen jedoch die Bezirke die Verantwortung, die teils Bargeld, teils Chipkarten (Mitte, Reinickendorf, Spandau, Tempelhof-Schöneberg) oder Gutscheine (Neukölln) gewähren. Der Flüchtlingsrat Berlin fordert diese Bezirke auf, ebenfalls die diskriminierende Gewährung von Sachleistungen zu beenden.

Der Flüchtlingsrat begrüßt ebenso auch den Beschluss des Berliner Senats, Flüchtlingen durch eine auch für die Bezirke verbindliche Ausführungsvorschrift die Anmietung von Wohnungen zu erlauben. Die derzeit aus Sozialhilfemitteln gezahlten Sätze für ein einziges Zimmer im Wohnheim für eine Familie mit drei Kindern sind mit etwa 1650.-Euro/Monat für Unterkunft ohne Verpflegung etwa dreimal so teuer wie eine selbst gemietete Wohnung.

Die Heimunterbringung führt zur Isolation der Flüchtlinge von der Gesellschaft. Physische und psychische Krankheiten sind vielfach die Folgen des jahrelangen beengten Wohnens in Massenunterkünften. Die Folgen sind insbesondere für Kinder katastrophal.

Der Flüchtlingsrat Berlin tritt Argumenten entgegen, dass der Aufenthalt für Asylbewerber nicht „attraktiv“ zu gestalten sei. Der dahinter steckende Gedanke der Abschreckung verkennt die wahren Ursachen von Flucht wie politische Verfolgung, Folter, Terror, Hunger und Krieg in den Herkunftsländern.

Die Unterbringung von Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen in Wohnungen wird u.a. in der Stadt Potsdam bereits seit Jahren mit Erfolg praktiziert. Nach entsprechenden Beschlüssen der Brandenburger Landesregierung und der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung teilte Potsdams Fachbereichsleiterin für Soziales Eichenmüller gestern mit, dass Potsdam anstelle der bisher ausgegebenen Gutscheine bereits ab dem 1. März 2003 Geldleistungen an alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG gewährt. Potsdam ist damit die erste Stadt in Brandenburg, die Geldleistungen nach dem AsylbLG gewährt. Geldleistungen nach dem AsylbLG werden auch in den Ländern Sachsen-Anhalt, NRW, Hessen, Hamburg, Bremen, Schleswig Holstein und Rheinland-Pfalz gewährt.

Presseecho (dokumentiert von der Initiative gegen das Chipkartensystem)





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