Wichtige Neuregelung zum Kindergeld, Erziehungsgeld und Elterngeld für Ausländer

Bunderat bestätigt Änderungen beim Elterngeld, Kinder- und Erziehungsgeld für Ausländer


TAZ 28.09.2006
Flüchtlinge ausgespart.
Kurzfristig geändert: Kein Elterngeld für viele Flüchtlinge

TAZ 29.09.2006
Flüchtlingsmutter darf nicht Hausfrau sein

Merkblatt zur Gesetzesänderung:
Kinder-, Erziehungs und Elterngeld für Bleibeberechtigte mit Aufenthaltserlaubnis nach dem IMK-Beschluss
(2 Seiten pdf)

Mehr zu den Familienleistungen unter
www.fluechtlingsrat-berlin.de –> Gesetzgebung

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Eine in letzter Minute offenbar durch das Bundesinnenministerium in das Gesetz zum Elterngeld eingefügte Verschärfung sieht vor, dass einige der aus humanitären Gründen dauerhaft in Deutschland bleibeberechtigten Ausländer – anders als ursprünglich vorgesehen – doch kein Elterngeld erhalten sollen.

Festzustellen ist aber: Der Kreis der anspruchsberechtigten Ausländer wurde beim Elterngeld sowie beim Kinder- und Erziehungsgeld und beim Unterhaltsvorschuss gegenüber den bisher für die Familienleistungen geltenden Regelungen deutlich erweitert. Dennoch bleiben auch künftig manche der aus humanitären Gründen dauerhaft in Deutschland bleibeberechtigte Ausländer weiterhin in verfassungswidriger Weise ausgeschlossen.

Am 29.09.06 hat der Bundestag das entsprechend geänderte Bundeselterngeldgesetz, am 18.10.06 die Änderungen beim Kinder- und Erziehungsgeld und beim Unterhaltsvorschuss in 2. und 3. Lesung verabschiedet.

Die Gesetze wurdem im November 2006 vom Bundesrat bestätigt und werden vorausichtlich im Dezember 2006 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.

Siehe dazu die Beschlussvorlagen zum Elterngeld vom 27.09.06, BT-Drs. 16/2785, sowie zum Kinder- und Erziehungsgeld und zum Unterhaltsvorschuss für Ausländer vom 13.10.06, BT-Drs. 16/2940

Die Anspruchsvoraussetzungen für Ausländer sind künftig in allen genannten Gesetzen wie folgt formuliert:

„Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer oder eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin ist nur anspruchsberechtigt, wenn diese Person

1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt,

2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde

a) nach den §§ 16 oder 17 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,

b) nach § 18 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes erteilt und die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit darf nach der Beschäftigungsverordnung nur für einen bestimmten Höchstzeitraum erteilt werden,

c) nach § 23 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in ihrem Heimatland oder nach den §§ 23a, 24, 25 Abs. 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,

oder

3. eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und

a) sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und

b) im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt“

Auf eine Begründung der geplanten Neuregelungen verzichten die genannten Gesetzentwürfe der Einfachheit halber gleich ganz!

Die Änderungen beim Kinder- und Erziehungsgeld und beim Unterhaltsvorschuss gelten rückwirkend ab 1.1.2006. Im Falle eines noch nicht entschiedenen Antrags für frühere Zeiträume müssen rückwirkende Leistungen jedoch auch für Zeiträume vor dem 1.1.2006 erbracht werden.

Für alle Familienleistungen gilt künftig:

1. Ausländer mit einer Niederlassungserlaubnis können die Leistungen immer beanspruchen.

2. Keinen Anspruch auf Familienleistungen haben wie bisher Ausländer mit Duldung. oder Aufenthaltsgestattung, Studierende und Auszibildende mit nur zu diesem Zweck erteilter Aufenthaltserlaubnis nach §§ 16, 17 AufenthG, sowie (anders als bisher) auch Ausländer mit einen von vorneherein nur zeitlich begrenzt vorgesehenem Arbeitsaufenthalt (z.B. als Spezialitätenkoch) nach 18 II AufenthG.

3. Ausländer mit einer zu einem anderen als den unter 2. genannten Zwecken erteilten Aufenthaltserlaubnis haben Anspruch auf Familienleistungen, wenn sie derzeit oder früher die Erlaubnis zu einer konkreten Beschäftigung oder allgemein jeder Beschäftigung bzw. Erwerbstätigkeit besitzen bzw. besaßen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn man irgendwann mal gearbeitet hat, dann reicht auch ein nachrangiger Arbeitsmarktzugang.

4. Bei einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23a, 24, 25 III-V AufenthG und bei einer Aufenthaltserlaubnis wegen des Krieges im Heimatland nach § 23 I müssen zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein: ein dreijähriger Mindestaufenthalt (es zählen Zeiten mit Duldung, Aufenthaltsgestattung und Aufenthaltserlaubnis) UND eine derzeitige Erwerbstätigkeit, ALG I-Bezug oder eine vom Arbeitgeber gewährte Elternzeit (Erziehungsurlaub).

Was eine „Erwerbstätigkeit“ ist, lässt der Gesetzgeber offen, zumal er ja auf eine Begründung verzichtet hat. Theoretisch müsste es reichen, 2 Stunden im Monat Putzen zu gehen… Es bleibt abzuwarten, wie Behörden und Gerichte die Regelung auslegen werden.

Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 I wird in der Praxis regelmäßig nur nach Beschlüssen der Innenministerkonferenz wegen langjährigen Aufenthaltes erteilt, nicht aber wegen des Krieges im Heimatland. Bei einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 I müssen daher die unter 4. genannten zusätzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt werden, ebenso auch nicht bei einer nach einem anderen § erteilten Aufenthaltserlaubnis.

5. Unabhängig vom Aufenthaltstitel können Ausländer (auch schon bisher) aus folgenden Staaten nach internationalem Abkommensrecht Kindergeld beanspruchen:
* Türkei, wenn sie seit mindestens 6 Monaten in Deutschland in einer Wohnung leben,
* Bosnien-H., Serbien + Kosovo, Montenegro, Marokko, Tunesien, Algerien, wenn sie sozialversichert in Deutschland arbeiten.

Kindergeld, Erziehungsgeld und Elterngeld können Ausländer aus folgenden Staaten nach internationalem Abkommensrecht beanspruchen:
* Türkei, wenn sie sozialversichert in Deutschland arbeiten, oder sonstwie der Sozialversicherung angehören (auch wenn sie noch keine 6 Monate in D sind und/oder in einer Gemeinschaftsunterkunft leben)
* EU, EWR und Schweiz.

Maßgeblich bei 1. bis 5. ist immer der Aufenthaltstitel der Eltern, nicht der des Kindes. Ausnahme: der Aufenthaltstitel des Kindes ist maßgeblich bei Waisen, oder wenn der Aufenthaltsort der Eltern unbekannt ist, in diesem Fall muss das Kind den Antrag stellen, § 1 BKGG.
Rückwirkende Anträge: Die unter 2. bis 4. erläuterte Neuregelung tritt rückwirkend zum 1.1.2006 in Kraft. Kindergeld (z.B. nach Abkommensrecht, oder aufgrund verfassungrechtlicher Ansprüche, siehe unten) kann darüber hinaus gemäß EStG/AO für 4 abgelaufene Kalenderjahre rückwirkend beansprucht werden, bei Antragstellung noch in 2006 also ab 1.1.2002. Ansprüche bestehen für jeden Monat, in dem die genannten Voraussetzungen erfüllt waren.

Die unter 4. genannten zusätzlichen Voraussetzungen halten wir für verfassungswidrig. Zudem können aus verfassungsrechtlichen Gründen auch Anprüche für Zeiträume vor dem 1.1.2006 bestehen.

Im Falle von Ansprüchen aus Zeiträume vor dem 1.1.2006 oder eines auch nach neuer Gesetzesfassung geltende Ausschlusses für Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen sind daher anwaltliche Beratung, Einspruch bzw. Widerspruch und Klage zu empfehlen.

Aufgrund von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes darf Ausländern mit humanitärem Bleiberecht das Kinder- und Erziehungsgeld aus Gründen der Gleichbehandlung nicht vorenthalten werden. Das Verfassungsgericht hatte den Gesetzgeber bereits Ende 2004 aufgefordert, bis zum 1.1.2006 eine gesetzliche Neuregelung zu schaffen, vgl.
www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg04-111.html
und
www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg04-116.html

Die Bundesregierung hatte daher Anfang 2006 Gesetzentwürfe vorgelegt, die die Regelungen zu den Familienleistungen für Ausländer entsprechend der Vorgaben des BVerfG gestalten sollten, vgl. BT-Drs 16/1368 (Kinder- und Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss) sowie BT-Drs 16/1889 (Elterngeld). Diese wurde jetzt aber wie oben aufgeführt geändert.

Ansprüche von Ausländern müssen daher erforderlichenfalls erneut bis zum Verfassungsgericht durchgeklagt werden. Wer durch die beabsichtigte Neuregelung weiterhin von Familienleistungen ausgeschlossen wird, sollte sich daher um anwaltlichen Beistand bemühen, um seine Ansprüche durchzusetzen.





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