Veröffentlicht am 17.06.2005

Aktuelle Situation im Abschiebungsgewahrsam

Flüchtlingsrat sieht weiter politischen Handlungsbedarf
Pressemitteilung vom 17. Juni 2005


Die aktuellen Entwicklungen im Berliner Abschiebungsgewahrsam geben aus Sicht des Flüchtlingsrats Berlin für die Senatsverwaltung für Inneres dringend Anlass politisch tätig zu werden. Der Senat sollte insbesondere die Einhaltung der geltenden Weisung zur Vermeidung von Abschiebungshaft durch die Berliner Ausländerbehörde gewährleisten.

Die lange Haftdauer gab regelmäßig Anstoß für Protestaktionen der Betroffenen. So begannen im April diesen Jahres 16 Insassen mit einem Hungerstreik, um u.a. gegen die langen Haftzeiten zu protestieren. Zuletzt befanden sich nach Informationen des Flüchtlingsrat noch 3 Personen im Hungerstreik, von denen ein kurdischer Flüchtling aus der Türkei gestern in das Haftkrankenhaus Moabit eingeliefert werden musste. Die Version der Polizeiführung, es habe sich nicht um einen Hungerstreik, sondern um eine Verweigerung der Annahme von Gewahrsamsessen gehandelt, verliert vor diesem Hintergrund den Bezug zur Realität.

Die lange Haftdauer kann in Verbindung mit einer mangelnden rechtlichen Vertretung und Aufklärung über die Haftgründe durch die Ausländerbehörde bei den Betroffen zu ernsthaften psychischen Belastungen führen. So kam es in dieser Woche zu zwei Suizidversuchen, die zum Glück verhindert werden konnten.

Im Interesse der Begrenzung der Haftdauer und ausgehend von der geltenden Weisung sollte der Senat regelmäßig auf die Auswertung der Praxis der Ausstellung von Reisedokumenten durch die Botschaften der Herkunftsländer drängen. Allerdings wurde die Inhaftierung von indischen Staatsangehörigen im Vorjahr erst eingestellt, nachdem das Landgericht Berlin Beschlüsse zur Unmöglichkeit der Abschiebung nach Indien innerhalb von 6 Monaten gefasst hatte. Ein vergleichbarer – noch nicht rechtskräftiger Beschluss – erging aktuell (15.06.2005) im Fall eines pakistanischen Staatsangehörigen. Wie im Fall der indischen Staatsbürger gab es u.a. durch die Mitteilungen der Seelsorger auch in diesem Zusammenhang hinreichend Anzeichen für die Senatsverwaltung, eine Haftvermeidung für die genannte Personengruppe in Erwägung zu ziehen.

Nach einem Beschluss des Kammergerichtes vom März 2005 zur Vermeidung von Abschiebungshaft von Minderjährigen (vgl. Pressemitteilung des Flüchtlingsrates vom 24. März 2005) wurde von der Senatsverwaltung die geltende Weisung zur Abschiebungshaft geändert und die zwingende Prüfung alternativer Unterbringungsmöglichkeiten durch die Ausländerbehörde festgeschrieben. Dieses Prüfverfahren wird aber wie im Fall von zwei dem Flüchtlingsrat bekannten Jugendlichen durch die Durchführung von Altersfestsstellungen unterlaufen. Dabei kam es u.a. zum Röntgen der Handwurzel und damit zu einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen.

Aus Anlass des Internationalen Tages des Flüchtlings am 20. Juni 2005, fordert der Flüchtlingsrat den Senat auf, die derzeitige Praxis der Anordnung und Verlängerung von Abschiebehaft unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu überprüfen.

  • Auf die Inhaftierung von Minderjährigen sollte ausgehend vom Kindeswohl generell verzichtet werden.
  • Allen Inhaftierten sollte ein rechtlicher Beistand zur Seite gestellt werden. Es kann nicht allein die Aufgabe von NGOs sein, die Initiative zur Gründung eines Rechtshilfefonds zu ergreifen.
  • Für die soziale und medizinische Versorgung der Betroffenen sollte einer unabhängige Stelle (z.B. getragen von den Wohlfahrtsverbänden) und nicht die Polizei Verantwortung tragen.

Flüchtlingsrat Berlin
Berlin, 17.06.2005





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