Veröffentlicht am 05.02.2007

Leistungsrechtliches Ausbildungsverbot für junge MigrantInnen

Ein Defizit der Berliner Integrationspolitik

Presseerklärung vom 5. Februar 2007

Eine gute (Aus-)Bildung erhöht die Partizipationsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt, kurbelt die Wirtschaft an, wirkt sich positiv auf die Arbeitslosigkeit aus und fördert die Integration. Profitieren können davon nicht nur die Auszubildenden, sondern auch ortsansässige Betriebe und Unternehmen, und nicht zuletzt das Land Berlin durch geringere Ausgaben für staatliche Sozial(hilfe)leistungen.


Stattdessen wird in Berlin immer mehr Jugendlichen mit Fluchthintergrund der Zugang zu betrieblichen und schulischen Berufsausbildungen verwehrt – völlig legal. Dabei geht es insbesondere um junge Migranten und Migrantinnen, deren Eltern wegen geringen Einkommens keine Ausbildung finanzieren können und aufgrund des Aufenthaltsrechts bisher nicht arbeiten durften. Ihre Kinder erhalten während einer Ausbildung weder Ausbildungsförderung nach BAföG oder dem Sozialgesetzbuch III, noch Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II. Bei Aufnahme einer Ausbildung werden ihnen vielmehr sämtliche staatlichen Existenzleistungen entzogen.

Daran ändert sich auch dann nichts, wenn sie über die Härtefallkommission oder die von der Innenministerkonferenz (IMK) am 17.11.2006 beschlossene Bleiberechtsregelung eine Aufenthaltserlaubnis und somit ein dauerhaft gesichertes Bleiberecht in Deutschland erhalten.

Die vom „leistungsrechtlichen Ausbildungsverbot“ betroffenen Jugendlichen fallen in eine gesetzliche Förderungslücke. Weder die Entscheidungsträger des BAföG (Bezirksämter) bzw. SGB III (Agenturen für Arbeit) noch die JobCenter (Hartz IV) bzw. Sozialämter (AsylbLG) zeigen sich derzeit bereit, gegen diesen Missstand vorzugehen.

Wenn ein Jugendlicher, der bisher Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhält, eine Ausbildung beginnt, ist das JobCenter (wg. § 7 Abs. 5 SGB II) bzw. das Sozialamt (wg. § 2 AsylbLG/§ 22 SGB XII) nicht mehr für diese Person zuständig. Es gilt der Grundsatz, dass Auszubildende keine Sozialhilfe bzw. ALG II erhalten. Vorgesehen sind stattdessen Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem BAföG (für schulische Berufsausbildungen) oder per Berufsausbildungsbeihilfe (BAB, ergänzend zu einer für den Lebensunterhalt nicht ausreichenden Ausbildungsvergütung). Der Ausschluss von der Sozialhilfe bzw. dem ALG II gilt auch dann, wenn die jungen MigrantInnen gar keine Leistungen nach BAföG bzw. BAB erhalten können.

Die Regelvoraussetzung für eine Ausbildungsförderung für Ausländer ist nämlich, dass ihre Eltern zuvor bereits drei Jahre in Deutschland gearbeitet haben (§ 8 Abs. 2 BAföG/§ 63 Abs. 2 SGB III). War den Eltern jedoch aufgrund ihres aufenthaltsrechtlichen Status die Aufnahme einer Arbeit verwehrt, oder sind die Eltern langzeitarbeitslos, erwerbsunfähig, abgeschoben, im Krieg gestorben oder unbekannten Aufenthaltes, so gilt davon dennoch keine Ausnahme. Die Folge dieser Gesetzeslücke ist, dass viele ausländische Jugendliche, die in Berlin aufgewachsen sind oder z.T. über 10 Jahre hier leben, von den JobCentern aufgefordert werden, ihre (teilweise über die Sozial- oder Jugendhilfe begonnene oder eine vom JobCenter geförderte „berufsvorbereitende Maßnahme“ eingeleitete) Ausbildung abzubrechen!

Ihnen werden wegen der Ausbildung von den Jobcentern oft völlig überraschend das Arbeitslosengeld II und somit sämtliche Existenzmittel für den Lebensunterhalt entzogen. Auch der Krankenversicherungsschutz wird entzogen. Dies gilt auch, wenn sie das BAföG bzw. die BAB gar nicht erhalten können. Ein Ausbildungsabbruch wird jedoch mit uneingeschränkten staatlichen Sozialleistungen (Arbeitslosengeld II bzw. Sozialhilfe nach AsylbLG) belohnt.

In Berlin wird der erzwungene Ausbildungsabbruch für junge MigrantInnen derzeit verstärkt von den JobCentern und Sozialämtern durchgesetzt. Durch besonders rigides Vorgehen gegen die berufliche Ausbildung von Migranten fällt dabei das JobCenter Berlin-Mitte auf. Die vor Inkrafttreten von „Hartz IV“ von den Sozialämtern praktizierte Möglichkeit, Sozialhilfe während der Ausbildung wenigstens in Anwendung der „Härtefallklausel“ des § 26 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zu gewähren, ist zwar auch für das ALG II bzw. die Sozialhilfe nach dem SGB XII/§ 2 AsylbLG grundsätzlich möglich. Dies wird von den Berliner Jobcentern jedoch zumeist kategorisch verweigert, auch die Sozialämter stellen sich zunehmend quer. Zudem hat der Hartz IV-Gesetzgeber festgelegt, dass das ALG II selbst in anerkannten Härtefällen nur noch als Darlehen gewährt wird, was nach Abschluss einer dreijährigen schulischen Ausbildung ca. 25.000 € Schulden bedeutet. Zudem bleiben die Betroffenen wegen der nur darlehensweisen Leistung ohne Krankenversicherung. Bei Abbruch der Ausbildung erhalten die jungen MigrantInnen hingegen für das „Nichtstun“ ALG II-Leistungen bzw. Sozialhilfe nach AsylbLG in gleicher Höhe als nicht rückzahlbaren Zuschuss. Auch ihre medizinische Versorgung ist dann gesichert.

Anstatt motivierten Jugendlichen durch die Möglichkeit einer erfolgreichen Ausbildung Perspektiven und Chancen zu vermitteln, wird öber das Problem der „Jugendkriminalität ausländischer Migranten“ debattiert, und verschärfte Strafmaßnahmen als Lösung angepriesen.

Der Flüchtlingsrat Berlin fordert

  • die ausländischen Jugendlichen, die wegen der Förderungslücke vor dem Abbruch ihrer Ausbildung stehen oder diese bereits abbrechen mussten, müssen durch eine schnelle und einstweilige Leistungsgewährung nach SGB II/XII in Anwendung der „Härtefallregelung“ für Auszubildende aufgefangen werden, damit sie ihre Ausbildung fortsetzen können, bis ggf. entsprechende Gesetzesänderungen in Kraft treten. Die Möglichkeit der Niederschlagung bei der Rückforderung von ALG-II-Darlehen für Auszubildende junge MigrantInnen ist großzügig anzuwenden
  • die politisch Verantwortlichen für die Berliner JobCenter und Sozialämter (Arbeits- und Sozialsenatorin Knake-Werner, Bundesarbeitsminister Müntefering sowie die Sozialstadträte der Berliner Bezirke) müssen verbindliche Maßgaben für die Leistungsgewährung an nichtdeutsche Auszubildende festsetzen, um so einen für alle sinnvollen Beitrag zur Integration ausländischer Jugendlicher zu leisten.
  • die Bundesregierung und der Bundestag müssen § 8 BAföG und § 63 SGB III ändern, um allen in Deutschland lebenden jungen MigrantInnen – bleibeberechtigten, asylsuchenden und geduldeten Jugendlichen – unabhängig von Nationalität und Aufenthaltstatus eine schulische oder berufliche Ausbildung zu ermöglichen, ohne dass ihnen wegen dieser Ausbildung die finanziellen Existenzmittel entzogen werden dürfen. Das Land Berlin soll daher umgehend eine entsprechende Bundesratsinitiative vorlegen.

Kontakt:

Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge (BBZ): 030 – 66640720 (Hr. Walid Chahrour)
Flüchtlingsrat Berlin: 030 – 243445762 (Hr. Jens-Uwe Thomas)

Berlin, 05.02.2007





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