Veröffentlicht am 15.11.2007

Ein Jahr nach dem Bleiberechtsbeschluss der Innenminister — Erwartungen haben sich in Berlin nicht erfüllt

Flüchtlingsrat fordert großzügige Umsetzung der gesetzlichen Altfallregelung
Presseerklärung vom 15.11.07


Ein Jahr nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) zu einer Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete und asylsuchende Flüchtlinge am 17.11.06 in Nürnberg haben sich die Erwartungen an eine großzügige Umsetzung nicht erfüllt. Nach einer abschließenden Statistik der Senatsverwaltung für Inneres (s. Anlage) wurden bis zum 28.08.07 auf 3.098 Anträge nur 583 Aufenthaltserlaubnisse erteilt, 466 Anträge wurden abgelehnt. 2100 Anträge wurden überhaupt nicht beschieden und größtenteils auch gar nicht erst geprüft! Mit dieser Bilanz liegt Berlin im bundesweiten Vergleich auf einem der hintersten Plätze.[1]

Die Ausländerbehörde weigert sich grundsätzlich, die Antragsteller anzuschreiben und ihnen mitzuteilen, welche Unterlagen im konkreten Einzelfall erforderlich sind bzw. für eine Entscheidung über den Antrag ggf. noch fehlen. Im Verhältnis zu anderen Bundesländern (z.B. Brandenburg 1.078 Anträge, 418 Aufenthaltserlaubnisse) ist die Berliner Bilanz aus Sicht des Flüchtlingsrates und des Berliner Bündnisses für eine Bleiberechtsregelung mehr als enttäuschend. Auch Innensenator Körting ging von einer ganz anderen Größenordnung nach dem IMK-Beschluss zu erteilender Aufenthaltserlaubnisse aus.[2]

Aus Sicht des Flüchtlingsrates gibt es folgende Gründe für die ernüchternde Bilanz:

Die mangelnde Informationspolitik der Ausländerbehörde und des Senats
So wurden die Betroffenen weder von der Behörde informiert und noch wie in anderen Bundesländern gezielt angeschrieben. Mögliche Arbeitgeber wurden nur mit gänzlich unverbindlich gehaltenen Bescheinigungen über die Möglichkeiten einer Arbeitserlaubnis für bisher geduldete Flüchtlinge informiert. Die Öffentlichkeits- und Informationsarbeit zum Bleiberecht wurde faktisch allein vom Flüchtlingsrat Berlin geleistet. Mit der mehr als schleppenden Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses der IMK in die Anwendungshinweise der Ausländerbehörde ging viel Zeit verloren. Erst zweieinhalb Monate nach dem IMK-Beschluss und den Eingang entsprechender Anträge wurde Ende Januar 2007 in Berlin die erste Aufenthaltserlaubnis nach der Regelung erteilt.

Die nachträglich durch die Berliner Ausländerbehörde verkürzte Antragsfrist
Die im März 2007 in den Berliner Anwendungshinweisen zum Bleiberecht heimlich vollzogene Verkürzung der Antragsfrist vom 01.10.07 auf den 18.05.07 kann nur als bewusste Behinderung einer großzügigen Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses der IMK interpretiert werden.

Die enge Auslegung und Bewertung von Ausschlussgründen
Von der Berliner Ausländerbehörde wurde unabhängig vom zögerlichen oder ablehnenden Verhalten mancher Botschaften auf der Passpflicht beharrt. So wurde von der Ausländerbehörde auch bei unzweifelhafter Identität (z.B. abgelaufener Pass) i.d.R. nicht die rechtliche Möglichkeit zur Ausstellung vorläufiger Ersatzdokumente (Ausweisersatz) zur Arbeitsaufnahme genutzt.

Die insbesondere im Fall von kurdischen Familien aus dem Libanon vorgeworfene Täuschung über die Identität wurde pauschal auf der Grundlage mehr als fragwürdiger Eintragungen in türkischen Geburtenregistern unterstellt. Kinder wurden mit in „Sippenhaft“ genommen und – wie das Beispiel von Nasima El-Zein zeigte – unter Hinnahme einer Trennung von der Familie rigoros abgeschoben. Anders als z.B. in Brandenburg wurde in Berlin gar nicht erst geprüft, ob die unterstellte Identitätstäuschung auch ursächliches Hindernis für den Vollzug der Abschiebung war.

Mit der am 28.08.07 in Kraft getretenen gesetzlichen Altfallregelung nach §104a/b Aufenthaltsgesetz wurde nunmehr die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne sofortigen Nachweis eines Arbeitsplatzes ermöglicht.

Der Flüchtlingsrat Berlin setzt sich gemeinsam mit Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Flüchtlingsinitiativen für eine großzügige Umsetzung der gesetzlichen Altfallregelung ein. Nach einer Podiumsdiskussion mit dem Innensenator am 19.09.07 wurden die im Vorfeld bekannt gewordenen Anwendungshinweise der Berliner Ausländerbehörde zur gesetzlichen Altfallregelung zurückgezogen. Diese wurden wegen ihrer extrem restriktiven Auslegungen auf der genannten Veranstaltung heftig kritisiert.

In bestimmten Fragen sagte die Innenverwaltung inzwischen eine Änderung und Anpassung an liberalere Vorschriften anderer Bundesländer zu, so die Einbeziehung langjährig hier lebender Asylbewerber. Die Berliner Ausländerbehörde wollte die Altfallregelung nur auf Ausländer mit Duldung anwenden und – anders als etwa Brandenburg, Niedersachsen oder Hessen – langjährig hier lebenden Asylbewerber generell vom Bleiberecht ausschließen. Offenbar bleiben Innenverwaltung und Ausländerbehörde aber bei ihrer engen Auslegung von Ausschlussgründen. Hinzu kommt: Bis heute liegen der Ausländerbehörde keine Anwendungshinweise zur seit 28.08.07 gültigen Altfallregelung vor. Ansehbar ist, dass es diesmal mehr als 3 Monate dauern wird, bis die Ausländerbehörde mit der Prüfung der Anträge beginnt. Die Betroffenen sind mangels Arbeitserlaubnis weiter auf Sozialleistungen angewiesen, die nach der Altfallregelung zu beachtenden Fristen zum Nachweis der Deutschkenntnisse und eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes werden so zum Nachteil der betroffenen Ausländer spürbar verkürzt.

Hinzu kommt der Ausschluss alter, kranker und erwerbsunfähiger Personen, für deren Lebensunterhalt inkl. Krankenversicherung die Angehörigen aufkommen sollen. Die Ausländerbehörde fordert dazu den Nachweis des Nettoeinkommens eines Angehörigen von 3000 €/Monat sowie dessen Verpflichtung zur Übernahme sämtlicher Krankenbehandlungs- und Pflegekosten. Die Innenverwaltung besteht hierauf, obwohl trotz Gesundheitsreform 2007 auch weiterhin keine gesetzliche oder private Krankenkasse zur Aufnahme bisher in Deutschland nicht erwerbstätiger alter, kranker und behinderter Ausländer bereit oder verpflichtet ist.

So bleibt zu befürchten, dass auch von der gesetzlichen Bleiberechtsregelung nur ein kleiner Teil der langjährig in Berlin hier lebenden asylsuchenden und geduldeten Flüchtlinge profitieren wird. Die gesetzliche Bleiberechtsregelung enthält wiederum einen Stichtag (sechs Jahre Aufenthalt am 01.07.07 bei Familien bzw. acht Jahren bei Alleinstehenden). „Einmalige“ oder gar „letztmalige“ Bleiberechts- und Stichtagsregelungen mit immer neuen Einreisestichtagen schaffen immer neue Ungerechtigkeiten.

Der Flüchtlingsrat fordert daher die Abschaffung des Stichtages und wird in enger Zusammenarbeit mit den anderen Partnern im Berliner Bündnis für das Bleiberecht – so mit dem Migrationsbeauftragten der Ev. Kirche (EKBO) und den Wohlfahrtsverbänden – die Umsetzung der gesetzlichen Regelung kritisch begleiten.

Flüchtlingsrat Berlin, 15. November 2007

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[1] Vgl. Antwort der Bundesregierung v. 12.11.07 auf die kleine Anfrage der Linksfraktion, Bundestags-Drs. 16/6832.
[2] Die Berliner Zeitung vom 21.11.06 zitierte den Innensenator wie folgt:
„Innerhalb von zwei Wochen können Flüchtlinge, die eine Arbeit nachweisen, damit rechnen, ein Daueraufenthaltsrecht zu erhalten. Das hat Innensenator Ehrhart Körting (SPD) gestern angekündigt. Von den offiziell rund 8 800 Flüchtlingen in Berlin profitieren laut Körting bis zu 2 500 Flüchtlinge, etwa ein Viertel, vom Bleiberecht, auf das sich die Innenminister geeinigt hatten.“





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