Veröffentlicht am 04.03.2011

Bezirke und Senat verstoßen systematisch gegen Schulpflicht

Pressemitteilung vom 4. März 2011

In einigen Berliner Bezirken dürfen Flüchtlingskinder nicht zur Schule gehen, angeblich aus Kapazitätsgründen. Der Flüchtlingsrat Berlin fordert Bildungssenator Zöllner auf, sicherzustellen, dass jedes schulpflichtige Kind in Berlin unverzüglich einen Schulplatz erhält, unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus.


Besonders kritisch ist die Situation in einer Sammelunterkunft im Berliner Süden. Weil die zuständigen Regelschulen keine Plätze bereitstellen, werden Kinder im Grundschulalter von Hauslehrern in der Unterkunft beschult. 22 Jugendliche im Sekundarschulalter dürfen überhaupt nicht zur Schule gehen. Auch in der Asylaufnahmestelle in Berlin Spandau erhalten dutzende Kinder seit Monaten keinen Schulplatz.

In der Antwort auf eine Abgeordentenhausanfrage gibt Sozialstaatssekretärin Liebich offen zu, dass die Berliner Schulen die Aufnahme von Flüchtlingskindern zum Teil  ablehnen. Dies werde mit Mangel an Schulplätzen und mit knappen Ressourcen für Förderklassen bzw. integrierte Lerngruppen begründet, so Liebich. Wie der Senat den Verstoß der Schulen und Bezirke gegen das Schulgesetz und die Schulpflicht bewertet und ob und was er dagegen unternehmen will, erfährt man aus der Antwort nicht.[i]

Schulstadträtin Otto aus Steglitz-Zehlendorf teilt auf eine BVV-Anfrage mit, dass von 20 Kindern unter 16 Jahren aus der in ihrem Bezirk gelegenen Erstaufnahmestelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (EAC) 18 Kinder nicht zur Schule gehen. Frau Otto behauptet, der Senat müsse die Beschulung in anderen Bezirken sicherstellen[ii]. Der Senat lehnt dies ab. Im Ergebnis des Zuständigkeitsstreits dürfen die Flüchtlingskinder überhaupt nicht zur Schule gehen.[iii]

Eltern aus einer Sammelunterkunft in Tempelhof-Schöneberg berichten, das Schulamt hätten es abgelehnt, die Anmeldung schulpflichtiger 16-jähriger Jugendlicher überhaupt entgegen zu nehmen. Die Kinder seien nur bis Ende dieses Schuljahres schulpflichtig, für die paar Monate lohne sich die Einschulung nicht.

Nicht nur die Schulämter, auch Innensenator Körting nimmt es mit der Schulpflicht ausländischer Kinder nicht so genau. So sprach sich Körting kürzlich im Tagesspiegel gegen die Beschulung von Kindern aus den neuen EU-Staaten im Bezirk Neukölln aus, wenn deren Eltern über keine Anmeldebescheinigung verfügen.[iv] Die Anmeldebescheinigung spielt für die Schulpflicht jedoch keine Rolle, auch für den legalen Aufenthalt von EU-Bürgern ist sie keine notwendige Voraussetzung.[v]

Walid Chahrour, Vorstand des Flüchtlingsrats Berlin: „Es ist erschreckend, wie Behörden und Politiker mit der Schulpflicht umgehen. Ein Schulbesuch ist für die Eingewöhnung der Kinder in ihr neues Umfeld und für ihre psychische Stabilisierung nach den Erfahrungen der Flucht außerordentlich wichtig. Je eher ein Kind in Deutschland in die Schule geht, desto größer die Chancen auf eine erfolgreiche Integration.“

Die Hauptverantwortung für die Beschulung von Kindern in Berlin hat Bildungssenator Zöllner. Der Flüchtlingsrat Berlin fordert Senator Zöllner auf, die Bezirke anzuweisen, alle in Berlin lebenden schulpflichtigen Kinder unverzüglich in die Schule aufzunehmen, und die Bezirke mit den dafür notwendigen Mitteln und Personalstellen – auch für integrierte Lerngruppen bzw. besondere Förderklassen – auszustatten.

Weitere Informationen zur Nicht-Beschulung von Flüchtlingskindern (pdf)

[i] Abgeordnetenhaus-Drs. 16/14975 v. 18.01.2011, „Das Recht auf Bildung für Kinder von Flüchtlingen“, www.parlament-berlin.de:8080/starweb/adis/citat/VT/16/KlAnfr/ka16-14975.pdf

[ii] Diese Behauptung ist u.E. rechtswidrig. Vgl. Nr. 16 Zuständigkeitskatalog zum Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz (AZG) Berlin. Demnach ist der Senat im Wesentlichen für die Schulaufsicht und die Berufsschulen zuständig und die Beschulung im übrigen Sache der Bezirke.

[iii] BVV-Drs 1739 III v. 13.12.2010, Steglitz-Zehlendorf: Schulpflichtige Flüchtlingskinder ins Hintertreffen geraten?, www.berlin.de/ba-steglitz-zehlendorf/bvv-online/vo020.asp?VOLFDNR=3768&options=4

[iv] Tagesspiegel v. 16.01.2011 „Roma-Kinder – zum Schwänzen verurteilt“, www.tagesspiegel.de/berlin/roma-kinder-zum-schwaenzen-verurteilt/3704724.html

[v] Vgl. PM Integrationsbeauftragter Berlin v. 17.01.2011 „Roma aus Bulgarien sind keine Illegalen“, www.berlin.de/lb/intmig/presse/archiv/20110117.1000.327024.html, und § 41 Abs. 1 SchulG Berlin: „Schulpflichtig ist, wer in Berlin seine Wohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.





Nach oben scrollen