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28.09.2021: Stoppt die Abschiebungen von besonders schutzbedürftigen behinderten Menschen aus Berlin!

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Gemeinsame Pressemitteilung vom Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen BNS, dem Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen e.V. BZSL, XENION – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V. und dem Flüchtlingsrat Berlin e.V.

 


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Raheel A. aus Pakistan lebt seit über 7 Jahren in Berlin. Er ist aufgrund psychischer und kognitiver Beeinträchtigung sowie durch eine schwere Epilepsie mit einem GdB von 70% als schwerbehindert anerkannt. Herr A. ist auf Medikamente angewiesen, dennoch kommt es zu schweren Anfällen mit Verletzungen. Fachärztlich wurde bereits eine rechtliche Betreuung empfohlen.

Innensenator Geisel hat jetzt, entgegen der Empfehlung der Härtefallkommission, ein humanitäres Bleiberecht abgelehnt, da die „Integrationsbemühungen“ (Arbeit, Einkommen, Deutschkenntnisse) nicht ausreichen würden. Eine Petition wurde ebenfalls abgelehnt, weil „Herr A. in absehbarer Perspektive nicht auf eigenen Beinen stehen wird“. Trotz langjährigen Aufenthaltes droht nun unmittelbar die Abschiebung.

Wir fordern den Innensenator zum Umdenken beim Bleiberecht nach der Härtefallregelung auf. Die Härtefallregelung soll gemäß § 23a AufenthG „dringende humanitäre oder persönliche“ Härten des Ausländer- und Asylrechts abfedern und nicht lediglich – wie in Berlin die eingeübte Praxis – ausschließlich besonders Qualifizierte und Integrierte und das „Survival of the Fittest“ honorieren.

Trotz seiner behinderungsbedingt schwierigen Situation absolviert Herrn A. ein Praktikum in einer geschützten Behindertenwerkstatt. Sie hat angeboten, ihn auch weiterhin zu beschäftigen, allerdings fehlt mangels Aufenthaltstitels eine Kostenübernahme der Agentur für Arbeit. Kürzlich hat Herr A. ein WG-Zimmer gefunden und konnte aus der Sammelunterkunft ausziehen. Da jedoch seine Mitbewohner Pakistani sind, spricht aber auch dies laut Senator Geisel gegen seine „Integration„.

Nach Artikel 21/22 der EU-Richtlinie 2013/33/EU (EU Asylaufnahmerichtlinie) und der UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderung ergibt sich die Verpflichtung, zeitnah die tatsächlichen Kompetenzen und Ressourcen zur Integration und den Unterstützungsbedarf Betroffener zu identifizieren und adäquat auf diese Bedarfe zu reagieren. Dies wurde bei Herr A. versäumt. Herr A. kann und möchte sich sehr gerne in dem von seiner Behinderung vorgegebenen Rahmen integrieren, braucht aber Unterstützungsmaßnahmen. Diese liegen – Jahre zu spät – nun endlich vor. Und gerade jetzt soll er abgeschoben werden.

Wir finden es anmaßend, im Rahmen des Bleiberechts nach der Härtefallregelung nach § 23a AufenthG schwerstbehinderten Menschen mangelhafte „Integrationsleistungen“ vorzuhalten“, so Lynn Klinger von Xenion e.V., “anstatt zu würdigen, dass es einem Geflüchteten trotz schwerer Behinderung gelingt, eine Wohnung und einen Praktikumsplatz zu finden. Wir stellen fest, dass das Berliner Landesamt für Einwanderung in den letzten Monaten dazu übergegangen ist, auch immer mehr jahrelang wegen Krankheit geduldete behinderte Menschen abzuschieben.

 

Auch im Fall eines Gehörlosen hatte Geisel kürzlich ablehnend reagiert und mit „fehlenden Integrationsleistungen“ argumentiert. Weitere Beispiele der zunehmend brutalen Praxis der Abschiebung kranker und behinderter Menschen aus Berlin hat der Flüchtlingsrat in einer Pressemitteilung vom April 2021 dokumentiert.[1]

Wir fordern Innensenator Geisel auf, auf Grundlage der Empfehlung der Härtefallkommission für Herrn A. dem Bleiberecht zuzustimmen. Berlin muss wieder zur ursprünglichen Intention der Härtefallregelung nach § 23a AufenthG zurück kehren und die „dringenden humanitären oder persönlichen“ Härten der antragstellenden Person in der Entscheidung berücksichtigen, statt nur die „Integrationsleistungen“ als alleiniges Kriterium zu honorieren.

 

Pressekontakte:

Xenion, Vanessa Höse, Tel: 0177 6295 142, E-Mail: vanessa.hoese@xenion.org

Flüchtlingsrat Berlin, Nora Brezger, Tel: 0176 7720 9320, E-Mail: brezger@fluechtlingsrat-berlin.de

BNS, Nicolay Büttner, Tel: 0159 0149 0397, E-Mail: n.buettner@ueberleben.org

—-

[1] PM vom 30.4.21: https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/pm-berliner-innensenator-ohne-gnade_30april2021.pdf





06.07.2021: Tabubruch in Berlin – SPD Spitzenkandidatin fordert Abschiebungen nach Afghanistan und nach Syrien

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Das Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan und SyriaNotSafe verurteilen aufs Schärfste die heutige Abschiebung in das Kriegsland Afghanistan sowie den Tabubruch der SPD-Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl Franziska Giffey, die nun auch Abschiebungen in den Folterstaat Syrien ins Spiel bringt.


Unbeirrt von der Eskalation der Gewalt will die Bundesregierung am heutigen Dienstag 6. Juli zum 40. Mal in einer Sammelabschiebung nach Afghanistan abschieben. Auch eine Beteiligung Berlins ist nicht ausgeschlossen, da bei den letzten Abschiebungen häufig auch Menschen aus Berlin an Bord waren. Die Ignoranz der Bundes- und beteiligten Landesregierungen gegenüber der Kriegsrealität in Afghanistan ist erschreckend. Allein innerhalb 24 Stunden haben die Taliban 13 Distrikte eingenommen, mehr als jemals zuvor. Die NATO-Truppen haben das Land verlassen, es herrscht politische Ungewissheit und Angst, Terroranschläge gegen Universitäten, Schulen und soziale Einrichtungen sind an der Tagesordnung.

Dem nicht genug, prescht nun die Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey vor und fordert neben den Abschiebungen nach Afghanistan auch solche nach Syrien.

„Hier wird populistischer Wahlkampf auf dem Rücken von geflüchteten Menschen gemacht und bewusst ein Tabubruch begangen, um am rechten Rand Wähler:innenstimmen zu fischen“, so Zeynab Jamshidi vom Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan.

Auch wenn bislang „nur“ von Abschiebungen von Straftätern oder sogenannten „Gefährdern“ nach Afghanistan und potentiell nach Syrien die Rede ist, drohen diesen schwere Menschenrechtsverletzungen. Zudem markieren Abschiebungen nach Syrien einen Dammbruch. Abschiebungen von Straftätern oder “Gefährdern” ebnen mittel- oder langfristig den Weg für die Abschiebungen auch anderer Gruppen. Zudem kommt eine Abschiebung nach einer (teil)verbüßten Strafe einer Doppelbestrafung gleich und ist Ausdruck von strukturellem Rassismus. Das Aufenthaltsgesetz kann nicht als Ersatzstrafrecht missbraucht werden. Insbesondere Abschiebungen von verurteilten Jugendstraftätern konterkarieren den Gedanken des Jugendstrafrechts, welches geleitet ist von Erziehungs- und Resozialisierungsgedanken und beschneiden damit auch den Rechtsstaat. Zudem mindert eine Abschiebung im Anschluss an die oder während der in Deutschland verbüßten Strafe drastisch die Chancen auf Rehabilitierung und Wiedereinstieg ein straffreies Leben.

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Nach Recherchen der ZEIT im April 20211 plant die Bundesregierung derzeit zwar keine Abschiebungen in vom Assad-Regime kontrollierte Regionen, es gebe jedoch Überlegungen zu Abschiebungen in den kurdisch geprägten Nordosten. Auch die „kurdischen Gebiete im Nordirak und in der Türkei“ würden in Betracht gezogen.

Der Vorstoß Giffeys enttarnt sich schon allein deshalb als reine Stimmungsmache vor den Wahlen, da die kurdische Selbstverwaltung in Nordostsyrien bislang noch nicht einmal von der Bundesregierung anerkannt wird. Bei Abschiebungen in von ihr kontrollierte Gebiete müsste die Bundesregierung aber mit ihr zusammenarbeiten. Jetzt sind sowohl die SPD als auch die (künftigen?) Koalitionspartner:innen gefragt, Giffey in ihre Schranken zu weisen und sie aufzufordern, auf rechtspopulistische Wahlkampfmethoden zu verzichten. Mit solchen Aussagen machen sich die Berliner Sozialdemokraten unglaubwürdig.

Das Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan und SyriaNotSafe fordern den sofortigen kompletten Abschiebestopp nach Afghanistan und Syrien und ein Ende des populistischen Wahlkampf-Gebrülls nach Abschiebungen in Kriegs- und Folterstaaten.
Afghanistan Not Safe! Syria Not Safe!

Pressekontakte:

Hannah Wagner (We’ll Come United Berlin Brandenburg und Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan), Tel.: 0163 1601 783

Tareq Alaows, SyriaNotSafe, presse@tareq-alaows.org





04.05.2021: Afghanistan Abschiebung verschoben: Jetzt politische Konsequenzen ziehen!

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Gemeinsame Pressemitteilung der Landesflüchtlingsräte und PRO ASYL


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Der für heute geplante bundesweite Sammelabschiebe-Charter nach Afghanistan wurde wegen Sicherheitsbedenken verschoben. Dies bestätigt die Kritik von PRO ASYL und den Landesflüchtlingsräten an den Abschiebungen nach Afghanistan, das laut  Global Peace Index das unsicherste Land der Welt ist. Afghanistan befindet sich sicherheitstechnisch im freien Fall. Die prekäre Sicherheitslage hat sich durch den am 1. Mai begonnenen Abzug der NATO-Truppen weiter verschärft. Wie das Machtvakuum gefüllt wird, ist ungewiss. Eine Zunahme der Angriffe durch die Taliban und Versuche zur Machtübernahme sind zu erwarten. Darüber hinaus hat sich die wirtschaftliche Lage in Afghanistan auf Grund der Covid-19-Pandemie extrem verschlechtert, sodass Abgeschobenen ohne familiäres oder soziales Netzwerk die Verelendung droht. Trotzdem bleibe der Grundsatz des Innenministeriums zu Abschiebungen nach Afghanistan weiter unverändert, wie dpa berichtet. Dass der für Dienstag geplante Abschiebeflug nicht vollständig abgesagt, sondern lediglich verschoben wurde, ist vollkommen unangemessen.

 

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte fordern:

 

1.)   Die Bundesregierung und die Bundesländer müssen einen sofortigen und ausnahmslosen Abschiebestopp nach Afghanistan erlassen. Aus der prekären und völlig ungewissen Sicherheitslage sowie angesichts der desaströsen wirtschaftlichen Situation, die sich ebenfalls mit dem Truppenabzug weiter verschärfen wird, muss ein bundesweites Abschiebeverbot nach Afghanistan folgen, welches es bei der nächsten Innenministerkonferenz zu beschließen gilt. Bereits jetzt können und müssen die Bundesländer auch in eigener Verantwortung die Abschiebungen nach § 60 a) Abs. 1 AufenthG für sechs Monate ausnahmslos aussetzen. Geflüchtete sind nach der Abschiebung aus Deutschland häufig auch in Afghanistan stigmatisiert. Viele Gerichte, darunter auch der Verwaltungsgerichtshof in Baden-Württemberg, haben festgestellt, dass ihnen eine Rückkehr ohne ein stabiles familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan nicht zuzumuten ist.

 

2.)   Das Auswärtige Amt muss die Lage und Verfolgungssituation umgehend neu bewerten, da die Lageberichte Grundlage für Asylentscheidungen des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind. Bisher werden Asylanträge abgelehnt mit der Begründung, es gebe innerhalb des Landes sichere Gebiete, sogenannte innerstaatliche Fluchtalternativen. Doch nach dem Truppenabzug der NATO können auch Städte wie Kabul nicht länger als sicher gelten. Wie aus einem Spiegel-Artikel vom 29.04.2021 hervorgeht, schließen Außen- und Verteidigungsministerium selbst einen „Sturm auf Kabul“ durch aufständische Gruppen nicht mehr aus.

 

3.)   Mit dem Truppenabzug muss allen afghanischen Ortskräften – Dolmetscher:innen, Fahrer:innen und sonstigen Mitarbeitenden der Bundeswehr, der Bundespolizei und anderer Organisationen – mit ihren Familienangehörigen schnell und unbürokratisch die Aufnahme im Bundesgebiet angeboten werden. Sie müssen eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erhalten. Diese Menschen jetzt zurückzulassen, wäre für sie und ihre Familien lebensgefährlich.

 

4.)   Die Bundesregierung muss jetzt den Familiennachzug aus Afghanistan zu ihren in Deutschland lebenden Angehörigen mit allen Mitteln beschleunigen und unterstützen. Hierzu muss ebenso wie für Ortskräfte ein schnelles, unbürokratisches Verfahren installiert werden. Für diese ist die Eröffnung zweier Büros in Kabul und Masar-e Sharif geplant, von wo aus die Aufnahme organisiert werden soll. Da die Visaabteilung der Botschaft in Kabul  infolge eines Anschlags weiterhin geschlossen ist, müssen diese Büros auch für den Familiennachzug genutzt werden. Eine kurzfristige Aufstockung des Personals an den Botschaften in Islamabad oder Neu-Delhi – die derzeit für Visaanträge afghanischer Staatsangehöriger zuständig sind –  ist notwendig. Angesichts der Zeitknappheit und der Gefahren, die den Antragstellenden bei der Reise dorthin drohen, reicht das jedoch nicht aus. Es kann schutzsuchenden Afghanen nicht zugemutet werden, monatelang in Neu-Delhi oder Islamabad auf Termine zur Visumsvergabe zu warten.

 

5.)   Das BAMF muss seine Widerrufspraxis ändern. In jüngerer Zeit widerruft das BAMF in zahlreichen Fällen, in welchen noch vor wenigen Jahren jungen unbegleiteten Minderjährigen die Flüchtlingseigenschaft wegen (drohender) Zwangsrekrutierung durch die Taliban zugesprochen worden war, kurz nach Erreichen der Volljährigkeit den Flüchtlingsstatus. Das darf nicht länger gängige Praxis sein. Auch Abschiebungsverbote werden mit Erreichen der Volljährigkeit widerrufen, da das Bundesamt davon ausgeht, dass es jungen Männern möglich ist, ein Leben am Rande des Existenzminimums auch ohne familiäres oder soziales Netzwerk zu führen. Dies ist indessen – wie jüngst im oben genannten Urteil des VGH Baden-Württemberg deutlich aufgezeigt wurde – nicht der Fall. Widerrufe des BAMF müssen folglich unterbleiben.

 

6.)   Ein gesichertes Bleiberecht muss es auch für jene Afghanen geben, die nur mit einer Duldung in Deutschland leben oder sich seit Jahren im Asylverfahren befinden. Kein Afghane, keine Afghanin in Deutschland darf in der jetzigen Lage zurückgeschickt werden – egal, ob sie  erst vor wenigen Monaten angekommen sind oder seit Jahren hier leben. Die Folgen einer Duldung sind nicht nur ein Leben in ständiger Angst, Perspektivlosigkeit und Armut, sondern auch geringere Chancen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, in der Bildung und in der Entwicklung persönlicher Potenziale. Letztlich sind dies auch verpasste Chancen für die Gesellschaft, in der diese Menschen leben. Mit Blick auf die gemeinsame gesellschaftliche Zukunft ist es geboten, diesen Menschen jetzt eine Lebensperspektive zu eröffnen und ihnen die in einem solchen Fall anstelle von Kettenduldungen gesetzlich vorgesehenen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen.

 

Pressekontakt:

Flüchtlingsrat Berlin e.V., Tel.: 030 224 76 3 – 11/ – 09, Mail: buero@fluechtlingsrat-berlin.de





30.04.2021: Berlins Innensenator ohne Gnade: Sammelabschiebecharter nach Armenien – Familientrennungen, Abschiebung von Menschen mit Behinderung und pflegender Angehöriger

30.04.2021: Berlins Innensenator ohne Gnade: Sammelabschiebecharter nach Armenien – Familientrennungen, Abschiebung von Menschen mit Behinderung und pflegender Angehöriger weiterlesen »

Berlins Innensenator ohne Gnade: Sammelabschiebecharter nach Armenien – Familientrennungen, Abschiebung von Menschen mit Behinderung und
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Flüchtlingsrat, Xenion und BZSL fordern Rückholung der Abgeschobenen

Trotz der anhaltenden globalen Pandemie hält Innensenator Geisel unvermindert an Abschiebungen aus Berlin fest. Dabei erreichen Flüchtlingsrat und Beratungsstellen vermehrt Berichte, die an jeglicher Humanität beim Vollzug der Abschiebungen zweifeln lassen.

Das dem Innensenator unterstellte Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) hat am 31. März 2021 federführend einen bundesweiten Sammelabschiebeflug nach Armenien organisiert. Die psychosoziale Beratungsstelle Xenion hatte erst 14 Tage zuvor für den 30jährigen Herrn P. mit einer körperlichen Behinderung eine barrierefreie Wohnung gefunden. Er konnte dort endlich mit seiner Mutter, Frau S., zusammenleben, die ihn zu Hause pflegte. Zuvor war er in einer Pflegeeinrichtung untergebracht. Erst eine Woche vor der Abschiebung hatte Frau S. vom LEA eine Arbeitserlaubnis für einen Minijob in einer Arztpraxis erhalten.

Zwischen 5 und 6 Uhr morgens des 31. März zertrümmerte die Polizei die Wohnungstür und holte die 55jährige Frau S. ab. Ihr  Sohn steht seitdem unter Schock und befindet sich in psychologischer Behandlung. Er war für seine alltäglichen Verrichtungen auf die Hilfe seiner Mutter angewiesen und infolge der Abschiebung zunächst komplett ohne Pflege und Versorgung. Niemand fühlte sich verantwortlich. Inzwischen konnten durch das Engagement von Xenion ein Pflegedienst und eine Einzelfallhilfe eingesetzt werden. Die abgeschobene Mutter ist in Armenien ohne Bleibe und ohne jede Perspektive.

Am gleichen Tag ließ das Berliner Einwanderungsamt auch die 66jährige chronisch kranke Frau J. abschieben, die außerdem eine körperliche Behinderung hat. Sie lebte in einer Wohnung mit ihrer Tochter, ihrem Enkel, ihrem gehörlosen Sohn und ihrer gehörlosen Schwägerin. Ein psychiatrisches Attest aus Juli 2020 bestätigt u.a. Diabetes, eine medikamentös behandlungsbedürftige psychische Erkrankung sowie kognitive Einschränkungen, weshalb Frau J. auf Anleitung und teilweise Übernahme bei Verrichtungen des alltäglichen Lebens durch ihre Angehörigen angewiesen ist. Das Attest bestätigt krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit für 6 Monate.[1]

Frau J. hatte es nicht mehr geschafft, sich um ein aktualisiertes Attest zu kümmern. Sie wurde am 31. März in den frühen Morgenstunden von der Polizei abgeholt. Ihre gehörlosen Angehörigen wurden brutal aus dem Schlaf gerissen – sie stehen unter Schock. Frau J. musste dafür kämpfen, dass ihr erlaubt wurde, ihren Pyjama in Tageskleidung zu wechseln. Sie wurde in ihrem Rollstuhl im eigens von der Polizei mitgebrachten behindertengerechten Transporter zum Flughafen gebracht. Frau J. ist in Armenien mittel- und obdachlos und ohne medizinische Versorgung. Sie hat keinen Zugang zu den für sie lebensnotwendigen Medikamenten gegen ihre psychische Erkrankung, gegen Bluthochdruck und zum Insulin.

Mit demselben Charter wurde auch eine Familie aus Ludwigshafen abgeschoben. Ein minderjähriger Sohn blieb alleine zurück, er wird seither vermisst, die Presse berichtete.[2]

„Wir sind entsetzt über die Grausamkeit der Abschiebungen, die nur die Spitze des Eisberges darstellen. Die von Innensenator Geisel verantwortete Praxis der gnadenlosen Abschiebung Kranker und Menschen mit Behinderung und der gewaltsamen Trennung von ihren pflegenden Angehörigen widerspricht jeglichen humanitären Grundsätzen“, so Nora Brezger, Sprecherin des Flüchtlingsrat Berlin.

Für Frau J. besteht akute Lebensgefahr in Armenien. Frau S. muss ermöglicht werden, ihren Sohn zu pflegen, der auf ihre Hilfe angewiesen ist.

  • Wir fordern Innensenator Geisel auf, Frau J. und Frau S. sofort zurück nach Berlin zu holen.
  • Wir fordern einen sofortigen Corona-Abschiebestopp, insbesondere in Länder, in denen die Gesundheitsversorgung nicht bzw. nicht mehr angemessen funktioniert.

 

Pressekontakt:

Flüchtlingsrat Berlin e.V., Tel.: 030 224 763 11, Mail: buero@fluechtlingsrat-berlin.de

 

[1] https://fluechtlingsrat-berlin.de/attest_armenien_juli2020/

[2] SWR 22.04.21 www.ardmediathek.de/video/zur-sache-rheinland-pfalz/protest-wegen-abschiebung-von-armenischer-familie-aus-ludwigshafen/swr-rheinland-pfalz/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE0NDk5MTQ/





06.04.2021: Abschiebungen nach Afghanistan mitten ins Kriegs- und Pandemiegebiet – bei regelmäßiger Beteiligung von Berlin

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Gemeinsame Pressemitteilung vom Flüchtlingsrat Berlin e.V., dem Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen BBZ und dem Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan, hier als pdf

 


 

Monatlich gehen Abschiebecharter von Deutschland aus nach Afghanistan, in das nach dem Global Peace Index[1]gefährlichste Land der Welt, das nun auch noch schwer getroffen ist von der Corona-Pandemie. Auch das Land Berlin beteiligt sich regelmäßig an den Abschiebungen. Dieses Mal stellen Brandenburg und Berlin für den nächsten geplanten Abschiebeflug am 7. April sogar den Flughafen BER zur Verfügung.

 

Der Berliner Innensenator Geisel stimmte zuletzt der Abschiebung des afghanischen Geflüchtete Ali H. am 09. März 2021 zu, der direkt aus der Strafhaft abgeschoben wurde.

 

Ali H. floh 2013 als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland und lebte seitdem in Berlin. Er leidet unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung und psychischen Problemen auf Grund von massiven Gewalterfahrungen in Griechenland, die er auf seinem Fluchtweg nach Deutschland machen musste.

In Berlin lebte er zusammen mit seiner Familie, seinen Eltern und Geschwistern sowie seiner Verlobten. Die Abschiebung durchkreuzte seine Pläne von einem gemeinsamen Leben mit ihr.

 

Innensenator Geisel ließ Ali H. als sogenannten „Intensivstraftäter“ nach Afghanistan abschieben, in ein Land, das dieser seit seinem 3. Lebensjahr nicht mehr kennt. Er flüchtete mit seiner Familie in das Nachbarland Iran. Afghanistan ist für Ali ein fremdes Land.

 

Wir gehen davon aus, dass Ali H. zumal wegen seiner Traumatisierung und seiner fehlenden Anbindung in Afghanistan – er kennt dort niemanden – angesichts der kriegerischen Gewalt und der fehlenden Existenzmöglichkeiten und angesichts der extremen politischen, ökonomischen und gesundheitlichen Krise kaum eine Überlebenschance haben wird. Das sehen zunehmend auch die Gerichte in vergleichbaren Fällen so (vgl. Anhang).

 

Seine Mutter schrieb nach der Abschiebung einen verzweifelten Brief an den Innensenator, da sie große Angst um ihren Sohn hat, weil er in Afghanistan in großer Gefahr schwebt. Sie schilderte dem Innensenator sehr persönliche Details über den psychischen Gesundheitszustand ihres Sohnes und bat ihn, ihren Sohn zurück nach Deutschland zu holen. Nur hier hat Ali H. die Möglichkeit einer adäquaten Therapie und Resozialisierung.

Die Antwort des Innensenators bzw. dessen Behörde erfolgte nach wenigen Wochen und ohne jegliches Mitgefühl für die verzweifelte Mutter. Er zieht ohne belastbare Argumente die Aussagen der Mutter von Ali H. in Zweifel und verteidigt die Abschiebung des traumatisierten Mannes.

 

Ein Großteil der aus Berlin und anderswo abgeschobenen „Straftäter“ hat in Afghanistan oder auf der Flucht schwerste psychische Traumata erlitten, nicht selten wurden sie Opfer von Gewalt und/oder sexuellem Missbrauch. Daraus folgende Drogenkrankheit und psychische Traumatisierung sind oft mitursächlich für hier verübte Straftaten. Statt den Menschen zu helfen, ein straffreies Leben aufzubauen und ihre Traumata adäquat behandeln zu lassen, schiebt Berlins Innensenator sie ab in ein Land ohne jede Möglichkeiten der Therapie oder Resozialisierung.

 

Wir fordern angesichts der aktuellen Lage einen sofortigen und ausnahmslosen Berliner Abschiebestopp nach Afghanistan.

Straftäter*innen sollen nicht durch eine Abschiebung doppelt bestraft werden. Sie sollen ihre Strafe hier verbüßen und hier für ihre Taten belangt werden.

 

Auch wissen die politisch Verantwortlichen wie der Innensenator, dass Afghanistan weit entfernt davon ist, ein „sicheres“ Land zu sein, zumal kürzlich der Einsatz der Bundeswehr dort verlängert wurde.

 

Stoppt alle Abschiebungen nach Afghanistan! Afghanistan ist nicht sicher!

 

Abschiebungsschutz mangels Überlebenschance in Afghanistan – was Gerichte sagen:

 

Das Bundesverfassungsgericht – BVerfG 09.02.2021 2 BvQ 8/21 www.bverfg.de/e/qk20210209_2bvq000821.htmlstoppte kürzlich die Abschiebung eines drogenkranken jungen Mannes, da unklar sei, ob er in Afghanistan zumal unter Corona eine Substitionstherapie erhalten könne. Selbst bei einer gesunden Person sei zweifelhaft, ob sie unter den aktuellen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bedingungen durch eigene Arbeit ein Existenzminimum erwirtschaften könne. Werde auf familiäre Strukturen verwiesen, seinen die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die afghanische Bevölkerung zu prüfen.

 

Das OVG Niedersachsen 13.01.2021 – 9 LA 150/20 www.asyl.net/rsdb/m29355/ verfügte ein Abschiebungsverbot für einen alleinstehenden gesunden erwerbsfähigen Mann aus Afghanistan wegen der fehlenden Existenzmöglichkeit durch die extrem prekäre wirtschaftliche Lage infolge der Corona Pandemie.

 

Ebenso sieht das in einem ausführlichen Grundsatzurteil auch der VGH Ba-Wü 17.12.2020 – A 11 S 2042/20 www.asyl.net/rsdb/m29309/

 

 

Pressekontakt:

BBZ, Tel.: 030 666 407 21 und Mobil: 0176 248 647 61

[1] https://www.visionofhumanity.org/wp-content/uploads/2020/10/GPI_2020_web.pdf





14.12.2020: Sammelabschiebung trotz Corona-Lockdown

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Berlin will am Mittwoch traumatisierten jungen Mann nach Afghanistan abschieben lassen

Pressemitteilung Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan*) vom 14.12.2020

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Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan fordert: Keine Sammelabschiebung am 16.12.2020 nach Kabul!

Obwohl Innenminister Seehofer schon am Samstag den „sofortigen Lockdown“ forderte[1], plant er am Mittwoch 16.12.2020 die seit März wegen Corona ausgesetzten bundesweiten Sammelabschiebungen nach Afghanistan wieder aufzunehmen[2] – ungeachtet der dort noch weitaus schlimmeren Pandemie und der desaströsen humanitären Lage in dem Land.[3] Berlins Innensenator Geisel will sich – entgegen anderslautender Äußerungen am Rand des SPD-Landesparteitags vor zwei Wochen – an dem Charter beteiligen und einen traumatisierten, als unbegleiteter Kinderflüchtling nach Berlin gekommenen jungen Mann abschieben lassen. Beratungsstellen, Flüchtlingsrat und Initiativen fordern angesichts der Pandemie und der eskalierenden Konflikte in dem Bürgerkriegsland einen ausnahmslosen Abschiebestopp für Afghanistan.

Afghanistan ist aktuell in extremem Ausmaß von der Corona-Pandemie betroffen.[4] Die Zahl der Infizierten steigt rasant, die humanitäre Lage verschärft sich weiter. Einkommensquellen für breite Teile der Bevölkerung sind weggebrochen, die Sicherheitslage ist desaströs.[5] Das Institute for Economics & Peace stuft Afghanistan im Global Peace Index 2020 als gefährlichstes Land der Welt ein, noch gefährlicher als Syrien. Weltweit sterben dort die meisten Menschen in Folge kriegerischer Auseinandersetzungen.[6]

Abschiebungen nach Afghanistan waren auch vor der Pandemie aus menschenrechtlicher Sicht völlig inakzeptabel. Es ist ein Zeichen äußerster Kaltherzigkeit, wenn der Berliner Senat trotz Lockdowns und Pandemie nichts Besseres zu tun hat, als einen jungen Menschen in eine völlig ungewisse und möglicherweise lebensbedrohliche Situation abzuschieben.

Der heute 21jährige Mann kam vor sechs Jahren als 15-jähriger unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan nach Berlin. Während seiner Flucht wurde er Opfer schwerster Misshandlungen. Weil er in Berlin straffällig wurde, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Drängen der Ausländerbehörde mit höchst tendenziöser pädagogisch-moralischer Begründung den wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erteilten Schutzstatus wieder aufgehoben. Aktuell absolviert er eine Jugendstrafe, im Januar stünde die Entlassung an.

„Wir wollen die Straftaten des Mannes nicht bagatellisieren. Aber wir halten es für verantwortungslos, sich eines jungen Menschen, der als Jugendlicher nach Berlin gekommen ist und während seiner Kindheit Schreckliches erlebt hat, einfach so durch Abschiebung zu entledigen, noch dazu in Zeiten einer globalen Pandemie. Die Abschiebung nach absolvierter Haftstrafe kommt einer Doppelbestrafung gleich. Sie würde sämtliche Erfolge während der Haft – psychische Stabilisierung, Erlangung der erweiterten Berufsbildungsreife, Ausbildung zum Peer-Mediator, Drogenfreiheit – konterkarieren“, sagt Georg Classen, Sprecher des Berliner Flüchtlingsrats. „Es ist mehr als fraglich, ob der junge Mann angesichts seiner psychischen Beeinträchtigung, der Pandemie und der extrem prekären Lage in Afghanistan überhaupt überlebensfähig ist. Der junge Mann verfügt über keinerlei soziale Kontakte in Afghanistan. In den Nächten liegt die Temperatur in Kabul derzeit um minus 7 Grad“, so Classen weiter.

Der Flüchtlingsrat Berlin und das Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan fordern, die für Mittwoch geplante Abschiebung sofort zu stoppen. Wir fordern angesichts der Sicherheitslage und der Pandemie einen ausnahmelosen Abschiebestopp für Afghanistan, der auch Straftäter*innen einschließt.

 

*) Im Berliner Bündnis gegen Abschiebungen nach Afghanistan sind vertreten:

YAAR e.V.

Hazara Zentrum Berlin

World Hazara Council – Germany e.V.

Zaki – Bildung und Kultur e.V.

Afghanisches Kommunikations- und Kulturzentrum e.V.

Verein iranischer Flüchtlinge in Berlin e.V.

We’ll Come United Berlin Brandenburg

Jugendliche ohne Grenzen

BBZ – Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen

Flüchtlingsrat Berlin e.V.

sowie aktive Einzelpersonen

 

 

Pressekontakt:

Flüchtlingsrat Berlin Tel. 030 22476311, E-Mail buero@fluechtlingsrat-berlin.de

Hinweis: Bitte länger klingeln lassen (Homeoffice), falls Sie uns nicht erreichen, schreiben Sie bitte eine E-Mail an buero@fluechtlingsrat-berlin.de, wir rufen zurück.

 

[1] www.spiegel.de/politik/deutschland/coronavirus-horst-seehofer-fordert-sofortigen-lockdown-a-824b5d3f-b3d5-49c8-acae-b3c6d6445425

[2] PM PRO ASYL 13.12.2020: www.proasyl.de/pressemitteilung/erster-sammelabschiebungsflug-nach-kabul-seit-maerz-2020-steht-bevor/

[3] https://thruttig.wordpress.com/2020/12/09/bevorstehende-afghanistan-abschiebungen-aus-der-zweiten-coronawelle-in-die-zweite-coronawelle/

[4] www.aerzteblatt.de/nachrichten/115352/Hochrechnung-Rund-zehn-Millionen-Infektionen-in-Afghanistan;
OCHA, WHO Afghanistan: Strategic Situation Report: COVID-19, No. 85, 26. November 2020, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-strategic-situation-report-covid-19-no-85-26-november-2020

[5] https://thruttig.files.wordpress.com/2020/10/20200716-aa-asylrelevante-lage-in-afg-teil-geschwarzt.pdf

[6] www.economicsandpeace.org/wp-content/uploads/2020/08/GPI_2020_web.pdf





01.12.2020: Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung für unbegleitetes 9 jähriges Kind aus Moria

01.12.2020: Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung für unbegleitetes 9 jähriges Kind aus Moria weiterlesen »

NGOs verurteilen Abschiebungsandrohungen gegenüber Flüchtlingskindern

Gemeinsame Pressemitteilung vom Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen BBZ e.V., Flüchtlingsrat Berlin e.V., Berliner Netzwerk für besonders Schutzbedürftige (BNS), Seebrücke Berlin und Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge BumF e.V.

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Hier die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung


Seit Monaten macht sich das Land Berlin stark für ein eigenes Aufnahmeprogramm zur Evakuierung unbegleiteter Minderjähriger und weiterer besonders schutzbedürftiger Geflüchteter aus den griechischen Elendslagern. Zuletzt beschloss Berlin sogar, eine Klage gegen das Bundesinnenministerium einzureichen, da dieses ein eigenes Landesaufnahmeprogramm Berlins ablehnt. Was jedoch mit den Menschen geschieht, die über die Aufnahmeprogramme des Bundes nach Berlin kommen, steht auf einem anderen Blatt.

Der jüngste Fall: Der 9jährige Safiullah (Name geändert) aus Afghanistan kam über das Bundesaufnahmeprogramm von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus dem Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos Anfang Mai nach Berlin, wurde in einer betreuten Jugendhilfeeinrichtung aufgenommen und konnte so seiner dramatischen kindeswohlgefährdenden Situation in dem griechischen Elendslager entkommen. Während das Land Berlin am 17. November 2020 beschlossen hat, für das Recht auf ein eigenes Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete aus Griechenland gegen das Bundesinnenministerium zu klagen, erhielt das Kind Safiullah zeitgleich eine Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung des Berliner Landesamtes für Einwanderung, ehemals Ausländerbehörde. „Wenn er nicht bis zum 14.12.2020 freiwillig ausgereist“ sei, werde sie seine Ausreise „zwangsweise durchsetzen“, teilte ihm eine Mitarbeiterin des Landesamtes mit.

„Ausreiseaufforderungen und Abschiebungsandrohungen gegen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) sind in Berlin leider alltägliche Praxis, obwohl die rechtlichen  Voraussetzungen für eine tatsächliche Abschiebung – wie die kindgerechte Aufnahme bei den Eltern oder einer geeigneten Betreuungseinrichtung im Herkunftsland – nicht vorliegen“, sagt Daniel Jasch, Berliner Landeskoordinator des BumF e.V. und vom Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen (BBZ) und Landeskoordinator des BumF e.V.

Nach § 58 Abs. 1a Aufenthaltsgesetz dürfte Safiullah nur dann nach Afghanistan abgeschoben werden, wenn die Berliner Ausländerbehörde vorher sichergestellt hat, dass er von seinen Eltern oder einer Jugendhilfeeinrichtung am Flughafen in Kabul in Empfang genommen und betreut und versorgt wird. Eine Voraussetzung, die in einem Land in dem die Taliban weite Landesteile kontrollieren und auch die deutsche Botschaft nach dem verheerenden Anschlag von 2017 immer noch nur eingeschränkt arbeiten kann, unmöglich zu erfüllen ist.

Formalrechtlich darf das Landesamt zwar solche Bescheide erlassen, obwohl die Ausreise und Abschiebung tatsächlich unmöglich ist.

„Das dies jedoch auch tatsächlich praktiziert wird zeigt, dass statt auf Integration und Einwanderung weiterhin auf Druck und Abschreckung gesetzt wird,“ so Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin.

Selbiges gilt auch für die Erstbehandlung neueingereister UMF im LEA. Denn während das Landesamt für Einwanderung mit seiner neuen Namensgebung in der Öffentlichkeit seinen offenen Zeitgeist betont und von Kund*innen spricht, werden neu eingereiste unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Abteilung Unerlaubte Neueinreise einer Tortur unterzogen. Sie werden dort ohne die Anwesenheit einer gesetzlichen Vertretung erkennungsdienstlich behandelt, rechtlich belehrt und befragt, auf diverse Strafvorschriften hingewiesen und müssen den Empfang von umfangreichen Belehrungen zur Ausreisepflicht und Passbeschaffung mit ihrer eigenhändigen Unterschrift quittieren – obwohl sie nach dem Aufenthaltsgesetz und dem Asylgesetz als Minderjährige rechtlich überhaupt nicht handlungsfähig sind.

Wir fordern das Land Berlin und insbesondere Herrn Innensenator Geisel auf, das Landesamt für Einwanderung anzuweisen, diese Praxis sofort einzustellen. Das Kindeswohl muss in jedem Fall Vorrang vor ausländerrechtlichen Belangen haben. Erkennungsdienstliche Behandlungen, Befragungen und rechtliche Belehrungen dürfen nicht ohne rechtlichen Beistand durchgeführt werden. Die Praxis der Abschiebeandrohungen gegenüber unbegleiteten geflüchteten Kindern, obwohl de fakto keine rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der Abschiebung besteht, ist sofort zu unterbinden. Die Maßnahmen des LEA führen bei den ohnehin traumatisierten unbegleiteten Flüchtlingen zu einer weiteren psychischen Destabilisierung und Retraumatisierung.

 

 

Pressekontakte

BBZ: Daniel Jasch, d.jasch@kommmitbbz.de, Tel.: 030 666 407 20

Flüchtlingsrat Berlin e.V.: Nora Brezger, brezger@fluechtlingsrat-berlin.de, Tel.: 030 224 763 09

Seebrücke Berlin: Nicolay Büttner, nicolay@seebrücke.org, Tel.: 0179 679 5850

BumF e.V.: Vicky Germain, v.germain@b-umf.de, Tel: 030 820 974 30





12.11.2020: Trotz Covid-19-Pandemie sollen Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufgenommen werden

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PRO ASYL und Flüchtlingsrat Berlin fordern Abschiebestopp


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Gemeinsame Pressemitteilung von PRO ASYL und Flüchtlingsrat Berlin

Für kommenden Montag, 16. November 2020, soll  nach dem Willen der Bundesregierung nach mehrmonatiger Pause erneut ein Sammelabschiebungsflug nach Kabul starten – mitten in der zweiten Coronawelle in Deutschland und auch in Afghanistan. Seit dem 11. März 2020 waren in Folge der Corona-Pandemie Abschiebungen auf Bitten der afghanischen Regierung ausgesetzt. Nun droht die Wiederaufnahme.  PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte fordern, dass die Abschiebungspläne sofort gestoppt werden. „Die Bundesregierung muss aufhören, die afghanische Regierung unter Druck zu setzen“, so Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

Angesichts der grassierenden Corona-Pandemie halten PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte Abschiebungen nach Afghanistan für unverantwortlich. „Die Bundesregierung legt eine Kaltschnäuzigkeit an den Tag, mitten in der Pandemie Abschiebungen in ein Kriegsgebiet vorzubereiten. Während einer Pandemie darf nicht abgeschoben werden, das ist lebensgefährlich und unverantwortlich“, fordert Günter Burkhardt. Bei jeder Abschiebung ist mit einer Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen und der Weiterverbreitung des Virus zu rechnen.

Wir fordern den Berliner Senat auf, angesichts der extrem prekären Sicherheitslage und der krassen Pandemiesituation in Afghanistan einen ausnahmslosen Abschiebestopp für das Land zu erlassen und sich auch nicht an der Sammelabschiebung am kommenden Montag zu beteiligen“, sagt Martina Mauer, Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats Berlin.

Das afghanische Gesundheitsministerium bestätigt derzeit wieder einen Anstieg der Covid-19-Fälle im Land. Expert*innen gehen davon aus, dass eine zweite Welle bevorsteht oder bereits begonnen hat, wie auch das BAMF am 02. November berichtete. Wie hoch die Infektionszahlen wirklich sind, lässt sich mangels flächendeckender Tests und chaotischer Lage im Land kaum feststellen.  Schätzungen des afghanischen Gesundheitsministeriums zufolge könnte inzwischen bis zu ein Drittel der Bevölkerung infiziert sein.

Die Sicherheitslage im Land ist derweil ungebrochen desaströs. Das Institute for Economics & Peace  hat Afghanistan in seinem Global Peace Index 2020 das zweite Jahr in Folge als das gefährlichste Land der Welt eingestuft. Weltweit sterben demnach dort die meisten Menschen in Folge kriegerischer Auseinandersetzungen.

Ende Oktober berichtete der US-Sondergeneralinspektor für den Wiederaufbau Afghanistans, dass die Zahl der Angriffe von Aufständischen zwischen Juli und September 2020 im Vergleich zum Quartal davor um 50 Prozent gestiegen ist. Die Zahl ziviler Opfer stieg in diesem Zeitraum um 43 Prozent, 876 Menschen wurden getötet und 1.685 verletzt. Der US-Beauftragte berief sich dabei auf Zahlen der NATO-geführten Resolute Support Mission und der US-Streitkräfte am Hindukusch.

Erst Anfang November kamen bei einem schweren Anschlag der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) auf die Universität in Kabul mindestens 35 Menschen ums Leben, 22 wurden verletzt. Zuvor griff der IS eine Schule in Kabul an, mehr als 20 Schüler*innen starben.

Die ohnehin schon desaströse wirtschaftliche Situation in Afghanistan verschärft sich durch die Covid-19-Pandemie drastisch: höhere Lebensmittelkosten, erschwerter Zugang zu Arbeit und Wohnraum, steigende Rückkehrer*innenzahlen, insbesondere aus dem vom Corona-Virus schwer betroffenen Iran, mit denen Afghanistan kaum fertig wird. Selbst das Auswärtige Amt bestätigt diese Entwicklung in seinem aktuellen Asyllagebericht zu Afghanistan.

Hierzulande haben inzwischen etliche Verwaltungsgerichte in Urteilen bestätigt, dass sich die Lage in Afghanistan aufgrund der Pandemie derart verschlechtert hat, dass auch alleinstehenden jungen Männern ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu erteilen ist (vgl. VG Kassel, VG Karlsruhe, VG Arnsberg, VG Hannover, VG Sigmaringen, Urteil vom 24.06.2020, A 6 K 4893/17, VG Wiesbaden).

Die Regierung Afghanistans steht jedoch unter Druck, Abgeschobene auch in der noch so unzumutbaren Lage zurückzunehmen. Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig vermutet, dass die Zustimmung Afghanistans zur Wiederaufnahme von Sammelabschiebungen darauf zurückzuführen ist, dass am 23./24. November eine Geberkonferenz stattfinden wird, bei der konkrete Geldzusagen für Afghanistans Entwicklungsfinanzierung für den Zeitraum 2021-2024 verhandelt werden. Schon in der Vergangenheit habe es Anzeichen dafür gegeben, dass von den Geberländern Druck auf die afghanische Regierung ausgeübt wurde, Sammelabschiebungen zuzustimmen. Dies drohe sich nun zu wiederholen. PRO ASYL teilt diese Einschätzung und nimmt zum EU-Deal »Joint Way Forward« Stellung.


Pressekontakt:

PRO ASYL, Tel: 069 / 24231430, E-Mail presse@proasyl.de

Flüchtlingsrat Berlin, Tel: 030 / 224 76 31, E-Mail buero@fluechtlingsrat-berlin.de

Hinweis: Falls Sie uns telefonisch nicht erreichen, schreiben Sie uns bitte eine E-Mail, dann rufen wir Sie zurück.





31.07.2020: Zweierlei Maß – Empörung über Nichtaufnahme aus Griechenland, aber Massenabschiebungen von Roma-Flüchtlingen nach Moldawien

31.07.2020: Zweierlei Maß – Empörung über Nichtaufnahme aus Griechenland, aber Massenabschiebungen von Roma-Flüchtlingen nach Moldawien weiterlesen »

Während Berlins Regierender Bürgermeister sich zu recht öffentlich echauffiert über die Ablehnung von Bundesinnenminister Seehofer für sein Landesaufnahmeprogramm Griechenland, führt Berlin zeitgleich Massenabschiebungen mit Kindern, Kranken und Behinderten nach Moldawien durch. Eine am 15.7. und gestern am 30.7. gleich die nächste.

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Unter den Abgeschobenen zahlreiche Familien mit Kleinkindern, Krebskranke in laufender Chemotherapie, Behinderte im Rollstuhl. Abholung um 3 Uhr nachts. Es kam zu Familientrennungen. Betroffen vor allem Angehörige der in Moldawien massiv diskriminierten Roma-Minderheit. Abschiebung per Sammelcharter ins Corona-Risikogebiet, wo Roma meist keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Die offizielle Caritas-Abschiebbeobachterin ist in Urlaub, eine Vertretung existiert nicht.

 

Siehe zur Abschiebung vom 15.7. bereits unsere gestrige PM mit Hintergrundinfos zur Lage der Roma und zur Coronapandemie in Moldawien:
https://fluechtlingsrat-berlin.de/30_7_20_pm-keine-solidaritaet-mit-gefluechteten-abschiebungen-zur-nachtzeit-in-corona-gebiete

 

„Wenn der Berliner Senat sich zu Recht darüber echauffiert, besonders schutzbedürftige Flüchtlinge (Kranke, Behinderte, Alte, Familien mit Kindern usw.) aus Griechenland nicht aufnehmen zu dürfen, aber zeitgleich hunderte besonders schutzbedürftige Angehörige der Roma-Minderheit ins Corona-Risikogebiet Moldawien abschiebt, dann scheint die Empörung über die Ablehnung des Landesaufnahmeprograms nur Heuchelei auf dem Rücken der Geflüchteten,“so Georg Classen, Sprecher des Flüchtlingsrates Berlin.

 

Der Schutz von Kindern, Kranken, Behinderten und weiteren besonders schutzbedürftigen Geflüchteten darf nicht nur für eine Gruppe gelten, die gerade in der öffentliche Debatte ist. Auch Kranke, Behinderte und Kinder aus Moldawien brauchen unseren Schutz. Dies gilt insbesondere für Angehörige der Roma-Minderheit.

 

Wir fordern den Berliner Senat auf,auf Abschiebungen in Coronarisikogebiete generell zu verzichten. Erst recht ist aufAbschiebungen von Kindern, Kranken, Behinderten und weiteren gesundheitlich besonders gefährdeten Risikogruppen zu verzichten.

 

Die Massenabschiebungen von Roma aus Berlin nach Moldawien und auf den Westbalkan verbieten sich auch vor dem Hintergrund der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands. Romahaben in diesen Ländern nach wie vor häufig keinen Zugang zum Gesundheitssystem, zu Wohnung, Arbeit und Bildung, vgl. dazu auch unsere gestrige PM.[1]

 

Pressekontakt: Flüchtlingsrat Berlin e.V., Tel. 030/224 76 311 (gegebenfalls lange klingeln lassen wegen Homeoffice), Mail: buero@fluechtlingsrat-berlin.de

 

 

[1]https://fluechtlingsrat-berlin.de/30_7_20_pm-keine-solidaritaet-mit-gefluechteten-abschiebungen-zur-nachtzeit-in-corona-gebiete, siehe auch Bericht Council of Europe – Commissioner for Human Rights, Juni 2020, abrufbar über www.ecoi.netsowie East Europe Foundation, Unequal Moldova , 2018, https://eef.md/media/files/files/unequal-moldova-report-english-web_1278956.pdf





23.10.2019: Polizei hat das Grundrecht auf Schutz der Wohnung zu respektieren: Richterlicher Durchsuchungsbeschluss für Abschiebungen weiterhin nötig!

23.10.2019: Polizei hat das Grundrecht auf Schutz der Wohnung zu respektieren: Richterlicher Durchsuchungsbeschluss für Abschiebungen weiterhin nötig! weiterlesen »

Pressemitteilung Flüchtlingsrat Berlin vom 23. Oktober 2019

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Seit Inkrafttreten des „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“[1] am 21. August 2019 dringt die Berliner Polizei wieder gewaltsam in Flüchtlingsunterkünfte ein, um Menschen zur Abschiebung abzuholen – teils unter Einsatz eines Rammbocks und ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Der Flüchtlingsrat protestiert gegen diese grundrechtswidrige Praxis und fordert Innensenator Geisel auf, den Verfassungs- und Hausfriedensbruch durch die Berliner Polizei sofort zu stoppen. Auch die Berliner Praxis der Abschiebung zur Nachtzeit ist unzulässig und umgehend einzustellen.

Wegen eines Streits zwischen Sozialsenatorin Elke Breitenbach und Innensenator Andreas Geisel über die Frage, ob für das polizeiliche Eindringen in Wohnheime und Wohnungen bei Abschiebungen ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss notwendig sei, waren in Berlin Abschiebungen aus Wohnheimen bis zum 21. August 2019 de fakto ausgesetzt.[2] Betroffene und Betreiber hatten Strafanzeigen gegen Polizeibeamt*innen wegen Hausfriedensbruch gestellt. Jetzt beruft sich die Innenverwaltung auf eine Neuregelung durch das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“, das das polizeiliche Eindringen in privaten Wohnraum zwecks Abschiebung als reines „Betreten“ definiert, für das kein richterlicher Durchsuchungsbeschluss nötig sei.[3]

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die bundesrechtliche Neuregelung auf eine Initiative der Berliner Ausländerbehörde zurückgeht, die mit allen Mitteln versucht, das rechtswidrige polizeiliche Eindringen in private Wohnräume fortzusetzen.[4]

Der Flüchtlingsrat hält diese Neuregelung für offenkundig verfassungswidrig und nichtig. Denn gemäß Artikel 13 Abs. 7 Grundgesetz darf die Polizei in privaten Wohnraum – worunter unstrittig auch Zimmer in Flüchtlingsunterkünften fallen – nur in wenigen Ausnahmefällen ohne Durchsuchungsbeschluss eindringen, z.B. bei akuter Gefahr für Leib und Leben.[5] Eine Abschiebung fällt nicht unter die in Art. 13 Abs. 7 Grundgesetz genannten Ausnahmen.[6]

Ein einfaches Gesetz kann nicht die Verfassung außer Kraft setzen. Das Grundrecht auf Schutz der Wohnung gemäß Art. 13 Grundgesetz gilt selbstverständlich weiterhin auch im Falle von Abschiebungen. Somit braucht die Polizei zwingend einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss, wenn sie gegen den Willen der Betroffenen zum Zwecke der Abschiebung in private Wohnräume eindringen will“, so Nora Brezger, Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats. Mit dem Geordnete-Rückkehr-Gesetz wurde eine bundesgesetzliche Grundlage für einen Durchsuchungsbeschluss zum Zweck der Abschiebung geschaffen, die zuvor in Berlin fehlte.[7]

Die Polizei verstößt nicht nur gegen das Grundrecht auf Schutz der Wohnung, sie begeht auch Hausfriedensbruch, wenn sie bei Abschiebungen ohne Erlaubnis der Wohnheimbetreiber und ohne Durchsuchungsbeschluss in Wohnräume in Unterkünften und in private Mietwohnungen eindringt. Betreiber wiederum machen sich des Hausfriedensbruchs strafbar, wenn sie der Polizei Zutritt zu den Zimmern der Bewohner*innen gewähren würden. Groteskerweise hat die Polizei nun sogar Wohnheimmitarbeitende, die der Polizei völlig zu Recht den Zutritt zum Heim verweigert haben, wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte angezeigt.

Aktuell arbeiten SenIAS und SenInn an einer gemeinsamen Information für die Betreiber von Unterkünften, wie sich Wohnheimmitarbeitende vor dem Hintergrund der gesetzlichen Neuregelung bei Abschiebungen verhalten sollen. Ohne das Ergebnis dieser Abstimmungen abzuwarten, betreibt die Berliner Polizei eigenständig „Aufklärungsarbeit“ und fährt außerhalb der Arbeitszeiten der Sozialarbeiter*innen Flüchtlingsunterkünfte an, um Securitymitarbeiter*innen durch unvollständige rechtliche Informationen zur Zusammenarbeit bei Abschiebungen zu bewegen, wie der Flüchtlingsrat von Mitarbeitenden verschiedener Sammelunterkünfte erfuhr.

Wir fordern Innensenator Geisel auf, Polizei und Ausländerbehörde anzuweisen, für Abschiebungen aus Wohnungen und Unterkünften stets einen Durchsuchungsbeschluss einzuholen und Mitarbeitende und Securities in Wohnheimen nicht unter Druck zu setzen, sich rechtswidrig zu verhalten. Der Flüchtlingsrat zählt auf Senatorin Breitenbach, dass sie bei ihrer klaren Haltung bleibt und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung von Geflüchteten verteidigt, statt es dem Koalitionsfrieden oder einer schnellen Lösung für die Betreiber zu opfern.

Zudem fordern wir, auf Abschiebungen zur Nachtzeit zu verzichten. Diese umfasst nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes die Zeit zwischen 21 bzw. 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens.[8] Für alle Bewohner*innen einer Unterkunft stellt es einen weitaus gravierenderen Eingriff dar, wenn die Polizei in der Nacht in die Unterkunft eindringt. Das Erleben häufiger nächtlicher Polizeieinsätze führt zu Retraumatisierungen, Angstattacken und anhaltenden Schlafstörungen.

 

Pressekontakt: Büro Flüchtlingsrat Berlin, Tel: 030/22476311, buero@fluechtlingsrat-berlin.de

 

Hintergrundinformationen und Quellen:

[1] Zweites Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, in Kraft seit 21. August 2019, Bundesgesetzblatt v. 20.08.2019, https://media.offenegesetze.de/bgbl1/2019/bgbl1_2019_31.pdf

[2] Zum Streit im Senat um das Grundrecht auf Schutz der Wohnung in Flüchtlingsunterkünften, Pressemitteilung Flüchtlingsrat Berlin v. 03.06.2019: https://fluechtlingsrat-berlin.de/presseerklaerung/03-06-2019-zum-streit-im-senat-um-das-grundrecht-auf-schutz-der-wohnung-in-fluechtlingsunterkuenften/

[3] Neuregelung zum Betreten von Wohnungen in § 58 Abs. 5 AufenthG neu: https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__58.html

[4] Vgl. Stellungnahme ABH-Chef Engelhard Mazanke v. 31.05.2019 zum Entwurf des „Geordnete-Rückkehr-Gesetzes“, https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/mazanke_grg.pdf

[5] Art. 13 Abs. 7 Grundgesetz: „Eingriffe und Beschränkungen dürfen im Übrigen nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.“

[6] Die Auffassung des Flüchtlingsrats wird von Jurist*innen bestätigt u.a.:
SenIAS Berlin, Durchsuchungsbeschluss für Abschiebungen aus Wohnungen und Sammelunterkünften, März 2019, https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/senias_art13_gg_polizei_braucht_durchsuchungsbeschluss_fuer_abschiebungen.pdf,
Rechtsanwalt Heiko Habbe, Der (un-?)geschützte Wohnraum. Betretens- und Durchsuchungsrechte der Behörden in Flüchtlingsunterkünften, Beilage zum Asylmagazin 8-9/2019,
Rechtsanwalt Volker Gerloff, Einschätzung zur Rechtslage bzgl. Wohnungsdurchsuchungen in Sammelunterkünften zum Zweck der Durchführung von Abschiebungen (zur Nachtzeit), https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/ra_gerloff_rechtslage_wohnungsdurchsuchung_abschiebung-4.0.pdf,
Wiss. Dienst des Deutschen Bundestags, Betreten und Durchsuchen der Wohnung einer abzuschiebenden Person nach § 58 Abs. 5 bis 9 Aufenthaltsgesetz, https://www.bundestag.de/resource/blob/659206/3a7d06c7bace13774e9dded4bcee4578/WD-3-206-19-pdf-data.pdf

[7] Gesetzliche Grundlage für Durchsuchungsbeschluss bei Abschiebungen in § 58 Abs. 6 AufenthG neu, https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__58.html

 [8] BVerfG zur Dauer der Nachtzeit, Beschluss des Zweiten Senats vom 12. März 2019 – 2 BvR 675/14-, Rn. (1-80), siehe hierzu auch § 36 ASOG Berlin iVm § 104 StPO





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