27.01.25 Gedenken bedeutet Verantwortung
Heute vor genau 80 Jahren wurde das Konzentrationslager Ausschwitz befreit. Ausschwitz – ein Ort furchtbarer Verbrechen, an dem mehr als eine Millionen Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer politischen Auffassung oder auch nur ihrer Solidarität mit anderen, die nicht in das Bild der Nazis passten, von diesen ermordet wurden. Ein Ort vollkommener Willkür, an dem Menschen nicht mehr als solche gesehen wurden. Die Erkenntnis, welche Entwicklungen an diesen Punkt geführt hatte, wurde Artikel 1 des Grundgesetzes, welches 1949 verkündet wurde und das bis heute die Grundlage unseres Staates bildet: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Mit dem Grundgesetz sollte festgehalten werden, was unumstößlich zu gelten hat, unabhängig von der Zusammensetzung der jeweiligen Regierung, unabhängig selbst von der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung – denn eben diese hatte Ausschwitz herbeigeführt. Die Erinnerung an Ausschwitz ist damit auch eine an die Verantwortung, die wir als Gesellschaft für alle Menschen haben, die in ihr leben. Um die Würde jedes und jeder Einzelnen auch in Zeiten zu schützen, in denen die gesellschaftliche Stimmung sich gegen Gruppen von Menschen richtet, haben wir uns dieses Grundregelwerk gegeben, welches sinnhafterweise den Rahmen einschränkt, in dem die Politik agieren darf. Neben der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 aus aus dem gleichen Erbe entstand, garantiert es bis heute neben anderem die freie Entfaltung der Persönlichkeit, des Glaubens, der Meinung sowie das Recht, in einem anderen Staat Schutz vor Verfolgung zu suchen.
„In der Woche, in der sich die Befreiung von Ausschwitz zum 80. Mal jährt, bringt eine Partei in Anträge in den Bundestag ein, welche unsere Grundprinzipien in Frage stellen. Das Resultat ist schon vorher offensichtlich: Denn unabhängig davon, ob diese Anträge angenommen werden und mit welchen Stimmen dies geschieht, ist der Hass in der Gesellschaft einmal mehr angefacht worden, die Ausgrenzung und Entrechtung einiger Menschen einmal mehr vorangetrieben worden.“, so Mari Lampe vom Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Die Rücksichtslosigkeit gegenüber den Erinnerungen des Horrors, welche eine Politik mit sich brachte, deren Garantie auf Recht und Schutz nur für manche galt, sowie der Kraft und Mühe, mit der unser Rechtsstaat in diesem Gedenken aufgebaut wurde, ist erschütternd. Persönliche Wahlerfolge scheinen wichtiger als der Bestand unserer Demokratie, deren Grundlage es ist, die Rechte eines jeden Menschen zu schützen.
„Wenn Vertreter von Volksparteien die Abweisung selbst von Menschen mit Schutzanspruch und die unbefristete Inhaftierung von Ausreisepflichtigen – auch wenn eine Ausreise faktisch nicht möglich ist – fordern, ein gemeinsames Abstimmen mit rechtsextremen Parteien ‚unerheblich‘ finden und sich damit rühmen, keine Kompromisse einzugehen, dann sind wir an einem Tiefpunkt angekommen, den man an diesem Tag mit Überzeugung ‚geschichtsvergessen‘ bezeichnen kann.“, so Adam Bahar vom Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Wir müssen uns als Gesellschaft bewusst sein, dass die Haltung gegenüber Schutzsuchenden direkt mit unserer Geschichte und den Lehren aus dem Holocaust verbunden ist. Die Einhaltung internationaler Asylrechte und der Schutz vor Verfolgung sind keine Nebensächlichkeiten, sondern Verpflichtungen, die aus unserer Geschichte resultieren. Wenn die Rechte von Schutzsuchenden infrage gestellt werden, wird auch die gesellschaftliche Verantwortung zur Wahrung der Menschenrechte untergraben.
Der Flüchtlingsrat Berlin fordert die Vertretenden aller politischen Parteien auf, die Entwicklungen der Vergangenheit und die furchtbaren Erinnerungen, die damit einhergehen, ernst zu nehmen und sich in aller Deutlichkeit zu Rechtsstaat und zur Allgemeingültigkeit von Rechten für alle Menschen zu bekennen.
Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar, unabhängig von Herkunft, Religion und sozialem Status. Das Schüren von Hass darf keine legitime politische Strategie werden. Die Zusammenarbeit mit rechtsextremen Parteien darf keine Handlungsmöglichkeit im politischen Geschehen darstellen.
2025-01-27 Statement Holocaust-Gedenktag