Veröffentlicht am 22.06.2015

LAGeSo-Affäre: Umstrukturierung reicht nicht, Versorgung und Unterbringung der Asylsuchenden muss real gesichert werden!

LAGeSo-Affäre: Umstrukturierung der Unterbringungsleitstelle reicht nicht. 
Versorgung und Unterbringung der Asylsuchenden müssen auch real gesichert werden!


Pressemitteilung Flüchtlingsrat Berlin vom 22. Juni 2015 pdf
Berliner Zeitung 29.06.15: Berlin verprellt flüchtlingsfreundliche Vermieter
Berliner Zeitung 23.06.15: Sozialsenator Czaja in Erklärungsnot

Morgenpost 23.06.15: Czaja vorm Sozialausschuss – Die SPD hält still
RBB 22.06.15: Dringende Fragen – unbefriedigende Antworten

LAGeSo-Affäre: Umstrukturierung der Unterbringungsleitstelle reicht nicht.
Versorgung und Unterbringung der Asylsuchenden müssen auch real gesichert werden!Anlässlich der vernichtenden Ergebnisse des Prüfberichts zum LAGeSo[1] hat Sozialsenator Czaja eine Umstrukturierung angekündigt. Die Unterbringungsleitstelle BUL soll fachlich der Senatssozialverwaltung zugeordnet werden.

Der Flüchtlingsrat befürchtet, dass das die Situation für Asylsuchende in Berlin kaum verbessert. Weder garantiert die Anbindung an die Sozialverwaltung bessere Unterbringungsstandards, noch werden die Missstände bei der beim LAGeSo angesiedelten Zentralen Leistungsstelle und Aufnahmestelle für Asylsuchende (ZLA und ZAA) angegangen.

Der Flüchtlingsrat fordert die Unterbringung in Mietwohnungen als oberste Priorität. Für Gemeinschaftsunterkünfte sind bessere Standards nötig, insbesondere abgeschlossene Wohneinheiten mit Küche und Bad. Wie die BUL müssen auch ZLA und ZAA aufgestockt und in die Lage versetzt werden, die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen menschenwürdig und rechtskonform umzusetzen.

Massenunterbringung in Containern als neuer Standard?

Die bessere personelle Ausstattung der BUL ist zu begrüßen. Die Einhaltung von Personal- und Qualitätsstandards in den Wohnheimen muss regelmäßig kontrolliert und per Ausschreibung geeignete Betreiber gefunden werden. Es ist jedoch zu befürchten, dass größtmögliche Wirtschaftlichkeit zur obersten Leitlinie wird – auf Kosten der geflüchteten Menschen.

Die im September 2014 installierte, direkt bei der Sozialverwaltung angebundene „Task-Force Notunterbringung“ ist durch abgesenkte Standards, die Auswahl schlechtmöglichster Standorte und Mängel bei der öffentlichen Kommunikation aufgefallen. Czajas Containerlager wurden zur Steilvorlage für rechtsradikale Kräfte.

Container signalisieren nach innen und außen, dass Flüchtlinge angeblich nicht zu uns gehören. Die jetzt geplanten „Modulbauten“ dürften kaum besser sein – reguläre Wohnstandards mit Küche und Bad scheinen auch dort nicht vorgesehen. Der Berliner Senat plant statt neuer Wohnungen ein gigantisches System neuer Notunterkünfte für Wohnungslose.

Katastrophale Missstände bei der Aufnahme und Versorgung Asylsuchender in Berlin

Der Prüfbericht bestätigt in erschreckender Deutlichkeit die Kritik des Flüchtlingsrates an der Bevorzugung der Betreiber Gierso und PeWoBe durch das LAGeSo und am von der Behörde hingenommenen „Personalcloning“ bei der Sozialbetreuung der Flüchtlinge.[2]

Nicht befasst haben die Prüfer sich mit den katastrophalen Zuständen bei der für die Versorgung der geflüchteten Menschen zuständigen Asylaufnahme- und Sozialleistungsstelle des LAGeSo (ZAA und ZLA).

Nicht nur die BUL, auch ZAA und ZLA arbeiten wegen Überlastung nicht mehr gesetzeskonform. Hier bleibt Amtsleiter Franz Allert zuständig. Sozialsenator Czaja hat keine Maßnahmen angekündigt, um die Aufnahme der Flüchtlinge in Berlin zu verbessern.

Seit über einem Jahr werden Asylsuchende in Berlin nicht mehr ordnungsgemäß aufgenommen und versorgt. Immer wieder werden sie einfach obdachlos gelassen. Die Annahme von Asylgesuchen wird bei der ZAA verzögert, die Menschen nicht wie vorgeschrieben unverzüglich an das zuständige Bundesamt weitergeleitet. Häufig müssen sie mehrfach morgens ab 5 Uhr bis zu 12 Stunden warten, um vorgelassen zu werden. Wachschützer weisen Antragsteller teils mit Gewalt zurück.[3]

Verweigerte medizinische Versorgung

Kranken Flüchtlingen werden Behandlungsscheine verweigert, weil die ZLA überlastet ist oder die Formulare ausgegangen seien. Auch bei unaufschiebbaren Behandlungen kommt es zu gefährlichen Verzögerungen. Betroffene erleiden unnötige Schmerzen, Krankheiten werden verschleppt, Rettungsstellen und Notärzte mangels Krankenschein vermehrt in Anspruch genommen. Selbst schwerstbehinderten Flüchtlingskindern wird die notwendige Versorgung verweigert.[4]

Bremen (2005) und Hamburg (2012) haben die Gesundheitsversorgung AsylbLG-Berechtigter auf Krankenversichertenkarten umgestellt und der AOK übertragen. Berlin als Stadtstaat kann das Hamburger/Bremer Modell sofort übernehmen, die AOK Nordost ist dazu bereit. Durch die Ausgabe von Versichertenkarten und die Übertragung der Administration an die AOK würde sich die medizinische Versorgung verbessern. Dringend nötige Personalressourcen beim LAGeSo würden zur Betreuung der Asylsuchenden frei. Leider fehlt der politische Wille bei Sozialsenator Czaja, diese für alle Beteiligten vorteilhafte Lösung umzusetzen.

Virtuelle Hostelunterbringung

Seit April 2015 nutzt das LAGeSo keine Turnhallen mehr zur Unterbringung Asylsuchender. Stattdessen wird zunehmend auf Hostels verwiesen.[5] Asylsuchende erhalten von der ZLA einen Gutschein über 50 Euro/Per­son/Nacht, mit dem sie selbst ein Hostel suchen sollen. Weil sie kein Hostel finden, bleiben viele Asylsuchende obdachlos. Immer mehr Hostels lehnen die Aufnahme Asylsuchender ab, weil das LAGeSo nicht zahlt. Der Prüfbericht bestätigt das Problem. Es gebe „immense Rückstände bei der Prüfung der Hostel-Rechnungen, ca. 4.000 unbearbeitete Hostel-Rechnungen zum Stand Mai 2015″.

Flüchtlingsratssprecher Georg Classen: „Die Hostelgutscheine des LAGeSo sind ein Muster ohne Wert. Asylsuchende werden oft nur noch auf dem Papier versorgt, tatsächlich aber von der ZAA/ZLA rechtswidrig obdachlos ausgesetzt. Dabei ist die Sozialbehörde nach dem Asylrecht, aber auch nach Polizeirecht zwingend verpflichtet, einen konkreten freien Platz in einer Unterkunft nachzuweisen. Eine rein virtuelle Unterbringung nur auf dem Papier ist klar rechtswidrig.“

Vermieter werden verprellt – LAGeSo behindert Anmietung von Wohnungen

Asylsuchende, die eine freie Mietwohnung finden, berichten dem Flüchtlingsrat, dass die Prüfung des Mietangebots durch die einzigen beiden zuständigen Sachbearbeiter der ZLA derzeit vier bis sechs Wochen dauert. Bis dahin soll der Asylsuchende in der Sammelunterkunft bleiben und der Vermieter die Wohnung ohne Miete frei halten. Es ist davon auszugehen, dass wegen der Unterbesetzung und restriktiven Terminpraxis der ZLA monatlich etwa 50 den sozialhilferechtlichen Maßgaben entsprechende Wohnungsangebote verloren gehen.

Bei einem Durchschnitt von zwei Personen pro Haushalt entspricht dies der Unterbringung von 1.200 Asylsuchenden/Jahr. Dabei sind Wohnungen nicht nur menschenwürdiger als Sammellager und erleichtern die Integration in Arbeit und Gesellschaft, sie sind bei Tagessätzen von derzeit ca. 20 Euro /Person/Nacht für eine Sammelunterkunft (ohne Verpflegung) auch wesentlich kostengünstiger.[6]

Statt sich mit der Umstrukturierung der BUL als „Macher“ zu inszenieren und von seiner Verantwortung für das Versagen des LAGeSo abzulenken, fordern wir Sozialsenator Czaja auf, menschenwürdige Standards bei der Aufnahme, Versorgung und Unterbringung Asylsuchender in Berlin sicherzustellen.

Forderungen:

  • Ausreichende Ausstattung der Zentralen Asylaufnahmestelle ZAA und Zentralen Leistungsstelle für Asylsuchende ZLA beim LAGeSo mit Räumen und Personal entsprechend der Zahl an Vorsprachen
  • Einführung von Krankenversichertenkarten für EmpfängerInnen von Asylbewerberleistungen nach dem Vorbild Hamburgs und Bremens
  • Bestmögliche Unterstützung bei der Wohnungssuche und Anmietung von Wohnungen statt Einweisung in Notunterkünfte und Sammellager und virtueller Hostelunterbringung[7]
  • Schaffung von langfristig nutzbarem Wohnraum für Alle statt ständig neuer Notunterkünfte, mit abgeschlossenen Wohneinheiten mit Küche und Bad. Berlin muss den Sozialen Wohnungsbau wieder einführen.

Pressekontakt: Georg Classen, 030-243445762

 

[1] Bericht der externen Wirtschaftsprüfer MAZARS über das Verwaltungshandeln des Landesamtes für Gesundheit und Soziales LAGeSo bei der Auftragsvergabe an Betreiber von Flüchtlingsunterkünften, veröffentlicht am 18.06.2015, vgl. www.berlin.de/sen/gessoz/presse/pressemitteilungen/2015/pressemitteilung.331385.php. Der Flüchtlingsrat konnte die 53-seitige Pressefassung einsehen. Der eigentliche Bericht mit 200 Seiten wird vom Senat geheim gehalten.

[2] Der Bericht kommt zu einem vernichtenden Urteil über Aktenführung und Auftragsvergabe beim LAGeSo. Die Aktenführung der BUL ist laut Wirtschaftsprüferbericht unsystematisch, lückenhaft, und intransparent. Es fehlen durchweg Rechnungen und Zahlungsnachweise zu Errichtung und Betrieb der Unterkünfte. In keinem Fall gab es eine Ausschreibung für die Unterkunft oder deren bauliche Herrichtung.

[3] Vgl. Flüchtlingsrat 25.02.15: Flüchtlinge in Berlin menschenwürdig unterbringen und versorgen!

[4] Stellungnahme Flüchtlingsrat Okt. 2014 für AS-Ausschuss des Bundestags, S. 39 bis 54, Classen_AsylbLG_2014_AS-Ausschuss.pdf; Lebenshilfe Berlin, Flüchtlingskinder mit Behinderungen – Menschenrechtsverletzungen in Berlin www.lebenshilfe-berlin.de/fileadmin/user_upload/Downloads/03_Aktuelles/Pressemitteilungen/HVD_Menschenkind_Fluechtlingskinder.pdf;
Flüchtlingsrat 04.03.2015, GKV-Karte für Berlin , Argumente_GKV_Karte_Berlin.pdf

[5] Laut Statistik der BUL sind von 15.000 Flüchtlingen aktuell 1.500 in Hostels untergebracht 16Juni2015_Unterbringung_BUL_Bezirke.pdf. Die Hostelunterbringung ist auch deshalb problematisch, weil Kochmöglichkeiten und Sozialbetreuung fehlen und in den Hostels keine Anmeldung des Wohnsitzes möglich ist.

[6] Die sozialrechtliche Mietobergrenze für einen Zwei-Personenhaushalt beträgt in Berlin maximal 522 Euro (bruttowarm). Für zwei Personen im Sammellager bezahlt das LAGeSo 2 x 20 x 30 = 1.200 Euro/Monat.

[7] Vgl Flüchtlingsrat Berlin, 21.Mai 2015 „Sofortmaßnahmen Wohnungen für Flüchtlinge“ Sofortmassnahmen_Wohnungen_fuer_Fluechtlinge.pdf





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