20.11.2011: Bildungspaket für Asylbewerberkinder / Leistungskatalog zu §6 AsylbLG

Die Bundesregierung prüft derzeit die Höhe der AsylbLG-Leistungen und auch die Frage des Bildungspakets…


Update 22.11.2011: Inzwischen haben weitere Kommunen und Länder nach dem Vorbild Berlins ihre Sozialämter angewiesen, das Bildungs- und Teilhabepaket an alle AsylbLG-berechtigten Kinder zu gewähren, darunter PotsdamWolfsburg, ErlangenHamburg, Bremen und Köln.

Die Bundesregierung prüft derzeit die Höhe der AsylbLG-Leistungen und auch die Frage des Bildungspakets, kann aber nicht sagen, wann mit der wegen der verfassungswidrigen Leistungssätze erforderlichen AsylbLG-Reform zu rechnen ist. Bis dahin „können“ Leistungen für Bildung und Teilhabe nach § 6 AsylbLG gewährt werden, wenn dies nach „rechtsfehlerfreier Ausübung des Ermessens durch die zuständige Behörde „im Einzelfall“ geboten sei. Auch das BMAS weist inzwischen auf seinen Internetseiten zum Bildungspaket auf die Ansprüche nach § 2 und nach § 6 AsylbLG hin.

Hamburg hat im Bundesrat beantragt (BR-Drs 364/11), das BIldungspaket rückwirkend zum 1.1.2011 ins AsylbLG aufzunehmen und die Kosten dem Bund aufzuerlegen. Der Bundesrat hat den von NRW, Berlin, Bremen, BaWü und Brandenburg unterstützten Antrag am 23.09.2011 beschlossen. Zur Begründung führen die Länder aus, dass ansonsten eine Ausgrenzung dieser Kinder und Jugendlichen von der soziokulturellen Teilhabe erfolgt, die mit der UN-Kinderrechtskonvention nicht vereinbar ist.

Die SPD hat im Bundestag beantragt, das Bildungspaket ins AsylbLG aufzunehmen (BT-Drs 17/6455). Der Bundestag hat dazu am 07.07.2011 eine zur Akte gegebene Debatte geführt.
Am 29.09.11 lehnte die CDU/FDP-Mehrheit im AS-Ausschuss des Bundestags den Antrag ab, vgl. BT-Drs 17/7278. MdB Schiewerling (CDU) sah keinen Handlungsbedarf, da die Kommunen die BuT-Leistungen an AsylbLG – Berechtigte gewähren dürften, sie „sollen es auch tun“. Die Mittel aus dem BuT-Paket stünden den Kommunen zur Verfügung und aus diesen Mitteln könnten auch die BuT-Leistungen nach AsylbLG abgedeckt werden. Unabhängig davon hätten auch die Koalitionsfraktionen das Problem erkannt, weshalb es bereits Gespräche des BMAS mit den Ländern gebe. Die Bundesregierung plane die Anpassung der Regelsätze im AsylbLG und wolle bis Ende des Jahres Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung ausarbeiten. In der Tat scheint es so, dass die BuT Leistungen nach SGB II/XII nicht im ausfinanzierten Umfang verausgabt werden – die „übrigen“ Mittel verbleiben bei den Kommunen, daraus wären die BuT Leistungen nach § 6 AsylbLG finanzierbar.
Am 20.10.2011 lehnte der Bundestag nach erneuter Debatte den SPD-Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU/FDP ab.

NRW lehnte das Bildungspaket nach § 6 AsylbLG zunächst ab. Eine gruppenspezifische Differenzierung die Asylbewerberkinder ausschließt sei zulässig, die Gewährung des BIldungspakets bliebe einer späteren AsylbLG-Reform vorbehalten (Seite 8 NRW-Arbeitshilfe Bildungspaket v. 28.04.11). Inzwischen legt jedoch ein neuer Erlass die Bewilligung nahe, ebenso die aktualisierte Arbeitshilfe.

Schleswig Holstein teilte zunächst mit, dass nicht davon auszugehen sei, dass das Bildungspaket gewährt würde, da die Kommunen die Kosten tragen. Nunmehr legt ein Erlass die Bewilligung nahe und sichert zu, dass das Land 70 % der Kosten erstattet. Auch Sachsen Anhalt empfiehlt die Gewährung des Bildungspakets.

Bayern gewährt das Bildungspaket laut PE v. 17.8.2011Hessen laut Erlass vom 22.8.2011BaWü empfiehlt es laut Pressemitteilung vom 05.10.2011. In Thüringen gibt es keinen Erlass, die Leistungen sollen aber vor Ort nach § 6 erbracht werden.

Niedersachsen und mit wortgleichem Erlass Rheinland Pfalz schätzen die Erfolgsaussichten der Sozialämter für eine Ablehnung des Bildungspakets bei einer Klage der Eltern gering ein. Beide Länder legen es daher nahe, die Leistung zu erbringen, dabei sei jedoch das Sachleistungsprinzip zu beachten.

Brandenburg empfiehlt den Landkreisen, das Bildungspaket nach § 6 AsylbLG zu gewähren, und führt zur Begündung an, dass die Leistungssätze nach § 3 AsylbLG verfassungswidrig und die Kinderrechte aus der UN-Kinderechtskovention zu beachten seien.

Auch BerlinHamburg und Bremen gewähren wie oben erwähnt das Bildungs- und Teilhabepaket nach § 6 AsylbLG.

Ergebnis: Ob ein unters AsylbLG fallendes Kind Geld für Schulhefte usw. erhält, hängt derzeit davon ab, in welchem Bundesland und welchem Landkreis es lebt. Vgl. zur Länderpraxis Bericht des BMAS, Ausschuss-Drs 17(11)715 v. 22.11.2011 „Bericht zur Praxis der Gewährung der Leistungen für Bildung und Teilhabe an Leistungsberechtigte nach § 3 AsylbLG

Bescheide prüfen: 70 € extra im August 2011 für jedes Schulkind!

Ohne Antrag erhalten Hartz IV Kinder und Jugendliche unter 25 Jahren, die eine allgemein- oder berufsbildende Schule besuchen und keine Ausbildungsvergütung erhalten, zum 1. August 2011 einen Zuschuss von 70 € in bar für ihren Schulbedarf. Die zweite Rate von 30 € ist am 1. Februar 2012 fällig. Während für Fahrtkosten zur Schule, Klassen- Hort- und Kitareisen und -ausflüge, Nachhilfe, Vereinsaktivitäten und Ferienfreizeiten ein gesonderter Antrag nötig ist, ist dies bei der Schulbedarfspauschale von 70/30 € nicht der Fall.
Prüfen Sie die AsylbLG-Bescheide für August 2011! Haben Sie die 70 € nicht bekommen, legen Sie unter Hinweis auf § 6 AsylbLG, die UN-Kinderrechtskonvention und die Verfassungswidrigkeit des AsylbLG Widerspruch ein! Machen Sie die bildungs- und teilhabefeindliche Haltung der vor Ort verantwortlichen Sozialpolitiker öffentlich!

Bildungs- und Teilhabe-Paket ins AsylbLG – Vorsicht Falle!

Bereits bei der Sitzung der AsylbLG-Referenten der Länder im März 2011 soll das BMAS die Bereitschaft angedeutet haben, das Bildungspaket bei der anstehenden Reform ins AsylbLG aufzunehmen. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann das Bildungspaket ins AsylbLG aufgenommen wird.

Wir sehen hier auch eine Falle. Das Hartz IV BuT Paket ist ein bürokratisches Monster. Es dient Propagandazwecken der Regierung und kommt aber bei den Betroffenen kaum. Der Antragsaufwand für Betroffene, Bildungseinrichtungen und Behörden ist immens, völlig unverhältnismäßig und vielfach nicht zu bewältigen. Das BuT Antragsverfahren ist ebenso wie die Form (überwiegend Sachleistungen, die wir im AsylbLG aus gutem Grund ablehnen!) in höchstem Maße diskriminierend.

Bei Hartz IV hat das BuT dazu geführt, die Kinderregelsätze niedrig zur rechnen und – anders als die 5 € Erhöhung für den Haushaltsvorstand – rechnerisch sogar noch abzusenken. Derselbe Effekt (BuT als Propagandalüge, um Kinderregelsätze niedrig rechnen) droht uns jetzt auch im AsylbLG.

Von daher: BuT vor Ort zu thematisieren ist hilfreich, um auf das diskriminierende AsylbLG hinzuweisen. Ziel darf dabei aber nicht das BuT sein, sondern das aufmerksam machen auf die verfassungswidrige Diskriminierung von Asylbewerber-Kindern nicht nur durch das AsylbLG. Ziel ist die Abschaffung des AsylbLG, hilfsweise die Angleichung der AsylbLG-Regelsätze an Hartz IV, die Abschaffung der Sammellager und der Residenzpflicht, der gleichberechtigte Zugang zu medizinischer Versorgung, die Abschaffung des Ausbildungs- und Arbeitsverbotes, usw.!

1. Der Berliner Senat hat am 5. April 2011 beschlossen, dass die Leistungen des neuen Hartz IV-Bildungspakets ohne Einschränkung auch für alle Asylbewerberkinder gewährt werden, auch wenn sie nur die angesenkten Leistungen nach § 1a AsylbLG oder nach § 3 AsylbLG erhalten, weil sie z.B. noch keine 48 Monate Leistungen bezogen haben und deshalb noch nicht unter § 2 AsylbLG fallen.

Der Senatsbeschluss zum Bildungspaket im Wortlaut:
Senatsbeschuss_Bildungspaket_05042011.doc

Zur Begründung führt der Senat an:

„Nach SGB XII sind voraussichtlich 3.707 Kinder leistungsberechtigt. Darüber hinaus haben 2.144 Kinder, die Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz – also analog SGB XII – erhalten, ebenfalls Anspruch auf die Leistungen für Bildung und Teilhabe. Allerdings würden 1.747 Kinder, die Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, von diesen Leistungen ausgeschlossen, insbesondere vom gemeinschaftlichen Mittagsessen in Schule und KiTa und von Lernförderung. Diese gesellschaftliche und soziale Ausgrenzung von Flüchtlingen, die zudem nur abgesenkte Leistungen erhalten, ist nicht hinnehmbar. Daher wird das Land Berlin auch diesen Kindern die Leistungen für Bildung und Teilhabe uneingeschränkt aus Landesmitteln gewähren.“

Antragsformulare und Infos

zu den einzelnen Leistungen des Bildungspaketes:
www.berlin.de/sen/bwf/bildungspaket/
www.bildungspaket.bmas.de/
Auch auf den Seiten des BMAS wird seit 10.08.2010 auf den Anspruch von Flüchtlingskindern nach  § 2 bzw. § 6 AsylbLG hingewiesen.

BMAS – Bildungspaket-Infos auf englisch, türkisch, russisch, arabisch

Arbeitshilfen und Hinweise zur Nachzahlung ab Januar 2011

Orientierungshilfe Caritas
Regelsatz
Erwerbslosenforum zur Nachzahlung

2. Zum Rechtsanspruch auf das Bildungspaket nach § 6 AsylbLG bundesweit

Unabhängig vom Berliner Senatsbeschluss sind wir der Auffassung, dass alle in Deutschland lebenden Flüchtlingskinder über § 6 AsylbLG (als zur Sicherung der besonderen Bedürfnisse von Kindern gebotene Leistungen) im Hinblick auf die Grundrechte aus Art. 1 GG (Urteil des BVerfG v. 9.2.2010 zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum) und Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz) und das Recht auf Bildung aus Art. 28 UN-Kinderrechtskonvention einen Rechtanspruch auf das Bildungspaket haben.

Eine Schlechterstellung von Asylbewerber-Kindern bei den Hilfen zum Schul- und Kitabesuch lässt sich schon im Hinblick auf die inzwischen zweifelhaft gewordene migrationspolitische Zielsetzungen des AsylbLG und dessen insbesondere für Kinder völlig unzureichendes Leistungsniveau nach § 3 AsylbLG nicht mehr rechtfertigen.

Der Regelbedarf für Schulkinder ist nach dem AsylbLG um bis zu 47 %, die Anteil für den persönlichen Bedarf einschl. des Bildungsbedarfs ist gegenüber Hartz IV Kindern um bis zu 83 % gekürzt. Die Regelbedarfe für AsylbLG-Kinder wurden 1993 von vornherein willkürlich „ins Blaue hinein“ geschätzt und seitdem nie an die Preisentwicklung angepasst, sie sind daher im Hinblick auf das Urteil des BVerfG v. 9.2.2010 zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum offensichtlich verfassungswidrig. Zumindest sind daher aufstockende Leistungen nach § 6 AsylbLG zu erbringen, so auch und gerade die Argumentation derjenigen, die das AsylblG (noch) für verfassungkonform halten.

Vgl. dazu unsere Stellungnahme zur Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 7.2.2011 zur Verfassungsmäßigkeit des AsylbLG: Das AsylbLG und das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (pdf)

Es handelt es sich bei Bildungspaket nach § 6 AsylbLG unseres  Eachtens nicht – wie der Berliner Senat annimmt – um eine „freiwillige Leistung“ des Landes. Zutreffend ist lediglich, dass die Leistung – ebenso wie die übrigen Leistungen nach AsylbLG – aus Landesmitteln stammt. Denn anders als bei Hartz IV beteiligt der Bund sich bisher nicht an den Kosten des AsylbLG.

>>> Bildungspaket für alle Asylbewerberkinder jetzt bundesweit beantragen!

Wir empfehlen, bundesweit für alle Asylbewerberkinder das Bildungspaket unter Hinweis auf § 6 AsylbLG (oder ggf. § 2 AsylbLG iVm § 34 SGB XII, insoweit ist der Anspruch unstrittig!) mit den auch für Hartz IV Kinder vorgesehen Formularen zu beantragen. Wenn Ihre Kommune kein Formular online gestellt hat, nehmen Sie einfach das Formular aus Berlin, es enthält alle nötigen Angaben, streichen Sie jeweils das Wort „berlinpass“ einfach durch. Vermerken Sie handschriftlich oben auf dem Formular: „Antrag nach § 2 AsylbLG iVm § 34 SGB XII, hilfsweise nach § 6 AsylbLG. Antrag wird rückwirkend ab 1.1.2011 gestellt.“. Machen Sie auch ein Kreuzchen bei „Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf  (Nur von Empfängern von Kinderzuschlag und Wohngeld auszufüllen)“.

Mit dem Antrag kann zugleich der Protest gegen das diskriminierende AsylbLG zum Ausdruck gebracht werden. Im Ablehnungsfall dürften vor Gericht gute Chancen bestehen – das sieht das Innenministerium in Niedersachsen ebenso.

Alternativ stellen wir einen Musterantrag mit Begründung zur Verfügung, der die möglichen Leistungen auflistet und den Anspruch nach AsylbLG begründet (gern zum Anpassen nach Bedarf, für Hinweise und Korrekturen sind wir dankbar!): Antrag_Kita_Schulbeihilfe.doc

Die Schulbedarfspauschale von 70 € im August und 30 € im Februar wird ab 1.8.2011 für alle Schulkinder im laufenden Leistungsbezug gewährt, ein Antrag ist hierfür nicht erforderlich. Die weiteren Leistungen des Bildungspakets werden hingegen nur auf Antrag erbracht.

Claudius Voigt von der GGUA Münster hat eine bundesweit nutzbare Arbeitshilfe zum Bildungspaket nach SGB II/XII und AsylbLG erstellt.

3. Berliner Leistungskatalog zu § 6 AsylbLG

Berlin hat einen sozialrechtlichen Leistungskatalog zu § 6 AsylbLG für alle asylsuchenden, geduldeten oder sonstwie unter §§ 3 – 6 AsylbLG fallenden Ausländer erarbeitet. Der Katalog gilt auch – aber keineswegs nur – für besonders schutzbedürftige Asylsuchende im Sinne der EU-Asylaufnahme-Richtline 2003/9/EG. Je nach Lebenslage, für die ein zusätzlicher Bedarf angenommen wird, sind folgende Leistungen vorgesehen:
0. Für alle Anspruchsberechtigten gleichermaßen mögliche Leistungen
1. Schwangere/Wöchnerinnen
2. Kinder
3. Alleinerziehende
4. Ältere Menschen
5. Menschen mit Behinderung
6. Folter-/Gewaltopfer

Auch das Bildungspaket ist genannt: „Alle Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG können die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets erhalten, wenn die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt werden. Konkret sind folgende Leistungen umfasst: Tagesausflüge in Schulen, Kindertagesstätten und Horten; Mittagsverpflegung in diesen Einrichtungen; Lernförderung (Nachhilfe); Klassenfahrten; kulturelle, freizeitliche und sportliche Teilhabe; Schülerbeförderung sowie Schülermaterial bzw. -ausstattung.“

Zusammenstellung: Georg Classen, Flüchtlingsrat Berlin





Nach oben scrollen