Veröffentlicht am 07.03.2017

Berlins Ausländerbehörde verhindert Integration von Geflüchteten

Presseinformation des Flüchtlingsrats vom 07. März 2017

Asylsuchende, die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte anerkannt werden, erhalten von der Berliner Ausländerbehörde über viele Monate hinweg nicht die ihnen nach dem Gesetz zustehende Aufenthaltserlaubnis.


Stattdessen wird lediglich eine gesetzlich nicht vorgesehene Bescheinigung der Ausländerbehörde an die bereits erloschene Aufenthaltsgestattung angetackert.[1] Die Senatsinnenverwaltung führt zur Begründung „Sicherheitsbedenken“ an, kann bezeichnenderweise aber keine Rechtsgrundlage für die Verweigerung der Aufenthaltserlaubnisse angeben.[2]

Den Flüchtlingsrat erreichen täglich Beschwerden anerkannter Geflüchteter, die seit einem halben Jahr und länger auf die ihnen zustehende Aufenthaltserlaubnis warten. Durch die fehlende Aufenthaltserlaubnis wird der Zugang zu Arbeit und Ausbildung, zu Wohnung und Familiennachzug, zu Reisefreiheit, sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe massiv erschwert.

„Wir fordern Innensenator Geisel auf, die Ausländerbehörde anzuweisen, ihre rechtswidrige, integrationshemmende Zettelpraxis sofort einzustellen und anerkannten Flüchtlingen umgehend die ihnen nach dem Aufenthaltsgesetz zustehende Aufenthaltserlaubnis auszustellen“ sagt Georg Classen, Sprecher des Flüchtlingsrates Berlin.

„Der pauschale Ausschluss ganzer Flüchtlingsgruppen von den ihnen zustehenden Aufenthalts- und Teilhaberechten über viele Monate hinweg ist nicht nur offenbar rechtswidrig, er ist auch kein geeigneter Beitrag zur inneren Sicherheit.“, so Classen. „Vielmehr trägt die Berliner Behördenpraxis zur Ausgrenzung Geflüchteter und zur sozialen Spaltung unserer Gesellschaft bei. Dies erfüllt uns mit großer Sorge.“

Hintergrund:
Nach dem Aufenthaltsgesetz ist den vom BAMF anerkannten Flüchtlingen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, Ermessen besteht nicht. Hierzu sind ein Flüchtlingspass bzw. Reiseausweis sowie eine im Format dem Personalausweis ähnliche Chipkarte („elektronischer Aufenthaltstitel“) mit der Aufenthaltserlaubnis auszustellen. Inhalt und Format der in der Bundesdruckerei produzierten Aufenthaltsdokumente sind in der Anlage zur Aufenthaltsverordnung bundeseinheitlich zwingend vorgegeben.[3] Für die ca. vierwöchige Wartezeit, bis der elektronische Aufenthaltstitel wird, ist eine „Fiktionsbescheinigung“ auf dem Vordruck der Bundesdruckerei auszustellen.[4] Format und Gestaltung sind bundeseinheitlich in der Aufenthaltsverordnung vorgeschrieben.

Doch statt der gesetzlich vorgeschriebenen Dokumente stellt die Berliner Ausländerbehörde lediglich ein für 15 Monate gültige, gesetzlich so nicht vorgesehene Bescheinigung im DIN A4 Format aus, mit dem Heftgerät an die ungültig gewordene Aufenthaltsgestattung getackert, ohne Hologramm, Stempel oder Passfoto.[1] Solche von der Ausländerbehörde selbst kreierte, leicht zu fälschende „Dokumente“, behördenintern auch „Format Word“ genannt, erfüllen gerade nicht die Sicherheitsanforderungen nach der Aufenthaltsverordnung.

Die Berliner Innenverwaltung verweist zur Begründung auf „vielfältige Gründe“ und „Sicherheitsbedenken“. Eine Rechtsgrundlage nennt sie bezeichnenderweise nicht.[2] Behauptet wird, dass vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ggf. im Asylverfahren dem BAMF vorlegte Identitätsdokumente auch von der Ausländerbehörde geprüft werden müssten. Dabei ist die Prüfung der Glaubwürdigkeit der Angaben zur Person und der ggf. vorgelegten Ausweisdokumente zentraler Bestandteil des Asylverfahrens beim BAMF. Hat das BAMF die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen, ist nach dem Gesetz eine Aufenthaltserlaubnis von der Ausländerbehörde auszustellen (§ 25 Abs. 2 AufenthG).

Für eine eigenständige, erneute Prüfung von Pässen und Identitätsnachweisen durch die Ausländerbehörde ist kein Raum (§ 5 Abs. 3 AufenthG). Sollten sich herausstellen, dass ein Flüchtling maßgeblich falsche Angaben gemacht hat und der gewährte Schutz darauf beruht, ist der Flüchtlingsstatus durch das BAMF zu widerrufen (§ 73 AsylG).

Anerkannte Flüchtlinge berichten von massiven Problemen:

  • Einige Bezirksämter verweigern den Wohnberechtigungsschein (WBS) zur Anmietung einer landeseigenen Wohnung oder einer Sozialwohnung, weil kein „Aufenthaltstitel mit Hologramm“ vorliegt.
  • Vermieter werden abgeschreckt, wenn Wohnungssuchende keinen Aufenthaltstitel vorlegen können. Sozialarbeiterinnen aus Turnhallen und anderen Notunterkünften beklagen, dass anerkannte Flüchtlinge deshalb keine Wohnung finden.
  • Arbeitgeber erwarten ein gültiges Ausweisdokument mit Hologramm, zumal sie gesetzlich verpflichtet sind, sich zur Prüfung der Erwerbserlaubnis den Aufenthaltstitel vorlegen zu lassen und eine Kopie einzubehalten.
  • Erst mit dem Aufenthaltstitel stellt die Ausländerbehörde auch die Berechtigung für den Integrationskurs aus. Anerkannte Flüchtlinge haben deshalb Schwierigkeiten, einen Platz für den ihnen zustehenden, verpflichtenden Deutschkurs zu finden.
  • Ohne Aufenthaltstitel können Flüchtlinge nicht ins Ausland reisen. Auch in der EU als Flüchtlinge anerkannte Mitglieder des Vereins „Champions ohne Grenzen“ dürfen nicht zu einem internationalen Sportereignis in Wien reisen. Einem anerkannten Flüchtling droht der Verlust des Arbeitsplatzes, weil er nicht zu beruflichen Terminen u.a. nach Brüssel reisen kann.
  • Bei anerkannten Flüchtlingen kann sich der Familiennachzug verzögern, wenn deutsche Auslandsvertretungen die Zettelbescheinigungen nicht kennen bzw. nicht akzeptieren.

Anlagen:
[1] Muster Bescheinigung LABO: LABO_Zettel_Beispiel.pdf
[2] Schreiben SenInn
[3] Muster Aufenthaltstitel
[4] Muster Fiktionsbescheinigung: Fiktionsbescheinigung.pdf

Diese PM als pdf: Ausländerbehörde verhindert Integration





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