Veröffentlicht am 19.03.2020

19.03.2020: Flüchtlinge vor Corona schützen!

Flüchtlingsrat fordert wirksamen Schutz von Flüchtlingen in Sammelunterkünften, die Aussetzung von Abschiebungen und Evakuierungsflüge für die in griechischen Lagern festsitzenden Flüchtlinge


Pressemitteilung hier als pdf

 

Flüchtlinge in Berlin sind aufgrund der Unterbringung in Sammelunterkünften und häufiger Behördentermine besonders von einer Infektion bedroht. Der Flüchtlingsrat fordert den Berliner Senat auf, die Belegungsdichte in den Unterkünften sofort zu reduzieren und besonders gefährdete Personen in Einzelappartements unterzubringen. Es bedarf weiterhin organisatorischer Maßnahmen, um das sozialrechtliche Existenzminimum und den Zugang zu medizinischer Versorgung auch während der Corona-Krise für alle Menschen zu gewährleisten und rechtsstaatliche Aufenthalts- und Asylverfahren sicherzustellen.
Dazu gehört es, Aufenthaltsdokumente und Sozialleistungen von Amts wegen zu verlängern, Fristsetzungen aufzuheben und die Geflüchteten umfänglich und tagesaktuell in den jeweiligen Sprachen zu informieren. Abschiebungen müssen offiziell ausgesetzt und Abschiebehäftlinge freigelassen werden.

Die ohnehin völlig untragbare Situation in den griechischen Flüchtlingslagern und an der Grenze zur Türkei droht sich angesichts der schnellen Ausbreitung der Covd-19-Virus zu einer humanitären Katastrophe zu entwickelt. Deutschland muss Evakuierungsflüge nicht nur für deutsche Tourist*innen, sondern auch für gestrandete Geflüchtete auf den griechischen Ägaisinseln und an der Landgrenze zur Türkei durchführen. Hierfür muss in Berliner Unterkünften die nötige Aufnahmekapazität bereitgestellt werden.


Unsere Forderungen im Einzelnen:

Griechenland/Türkei – Flüchtlinge sofort evakuieren! Leave No One Behind!
Mangels Zugang zu medizinischer Versorgung und Hygiene droht in den völlig überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln und an der Landgrenze zur Türkei ein Massensterben. Die Corona-Krise darf gerade nicht Anlass sein, um Aufnahmeprogramme auf Eis zu legen, sondern im Gegenteil, die Menschen müssen sofort ausgeflogen werden. Tests und Quarantäne nach Einreise sind möglich.
Petition zahlreicher Prominenter aus Kultur und Politik:
www.change.org/p/leavenoonebehind-jetzt-die-corona-katastrophe-verhindern-auch-an-den-außengrenzen

Sammelunterkünfte: Gesundheitlich gefährdete Menschen schützen, Kapazitäten ausweiten
Die Belegung der Unterkünfte ist zu entzerren, um das Infektionsrisiko zu reduzieren. Gesundheitlich besonders gefährdete Menschen sind in Unterkünfte mit eigenem Koch- und Sanitärbereichzu verlegen.
Um dafür und für die Aufnahme aus Griechenland ausreichend Unterbringungskapazitäten zu schaffen, muss der Senat derzeit leere Hotels, Hostels, Ferienappartements usw. anmieten und leergezogene Unterkünfte reaktivieren.

Quarantänemaßnahmen auf Infizierte und Kontaktpersonen beschränken
In Verdachtsfällen ist für Bewohner*innen von Sammelunterkünften der sofortige Zugang zur Testung sicherzustellen. Nicht Betroffene sind schnellstmöglich aus den Unterkünften zu evakuieren. Sollte eine Quarantäne nötig werden, muss für eine adäquate soziale, medizinische und psychologische Betreuungder betroffenen Menschen gesorgt werden. Pauschal ganze Unterkünfte von Polizei und Security abzuriegeln, wirkt nicht als Schutz, sondern als Freiheitsentzug im Internierungslager. Der Einsatz von Polizeihundertschaften wie kürzlich in Thüringen eskaliert nur die Probleme.

Zugang zu Nachrichten und Information sichern
Unter den Geflüchteten gibt es ein großes Informationsdefizit, seriöse Informationen in den benötigten Sprachen fehlen. In Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Gesundheit müssen SenIAS und LAF den Zugang sicherstellen zu umfassenden, verlässlichen, tagesaktuellen mehrsprachigen Nachrichten und Informationen.
Unerlässlich ist dafür die Installation kostenfreien WLANsfür alle Wohnräumen von Sammelunterkünften (nicht nur im Eingangsbereich), der Zugang zu PCs in den Unterkünften, sowie die Einrichtung mehrsprachiger Telefon-Hotlinesfür Flüchtlinge und Migrant*innen.

Hygienemaßnahmen ausweiten
Die Reinigungsfrequenzin Sammelunterkünften für Gemeinschaftsflächen, Küchen, Sanitärräume muss erhöht und Desinfektionsmittelspender auf allen Etagen bereitgestellt werden. In gemeinschaftlichen WC-Anlagen und Küchenmüssen Desinfektionsmittelspender, Papierhandtücher, Flüssigseife zur Verfügung stehen (ist derzeit in Berlin in der Regel nicht der Fall).

Maßnahmen zur Kinderbetreuung
Wegen der Schul- und Kitaschließungen droht Eltern und Kindern ein „Lagerkoller“. Die Kinder laufen zudem Gefahr, den Anschluss im Unterricht zu verlieren, wenn sie mangels WLAN, PC und Drucker keinen Zugang zu Online-Lernmaterialien haben. Daher sollten individuelle Kinderbetreuungsangebotedurch zusätzliches haupt- und ehrenamtliches Personal organisiert (Schularbeitshilfe, Freizeitangebote, Ausflüge in Parks usw.) und technische Hilfe bei der Bereitstellung des Online-Lehrmaterials der Schulengeboten werden.

Aufenthaltsdokumente und Sozialleistungen von Amts wegen verlängern
Um persönliche Vorsprachen in den Behörden zu vermeiden, fordern wir die Verlängerung von Aufenthaltsdokumenten, Sozialleistungen und Kostenübernahmenfür Unterkünfte von Amts wegen. Soweit mangels Konto keine Überweisung möglich ist, muss die Auszahlung von Bargeld notfalls vor Ort in den Unterkünften organisiert werden.
Verzicht auf Vorsprachen bei Sozial-, Ausländer- und Asylbehörden, Hinweis auf die Möglichkeit von Anträgen und Übermittlung von Dokumenten per Brief, Email, Fax. Umstellung auf Online-Verfahren.
Verzicht auf Fristen zur Beschaffung von Dokumenten bei Botschaften und Konsulaten und über Familienangehörige in den Herkunftsländern.

Schriftliche Asylantragstellung ermöglichen, Rechtsmittelfristen aussetzen.
Das Asylbundesamt BAMF muss ab sofort analog § 14 Abs. 2 AsylG schriftliche Asylanträgefür alle Asylsuchenden zulassen. Dies gilt bisher nur für Menschen in stationärer Krankenhausbehandlung usw., Minderjährige und Inhaber eines Aufenthaltstitels.
Die Klagefristbeträgt bei Asylbescheiden je nach Fallkonstellation nur 1 oder 2 Wochen. Da das BAMF Asylanhörungen gestoppt hat, werden derzeit offenbar vermehrt Asylbescheide erstellt, ohne Rücksicht darauf, dass die Betroffenen gar keine Gelegenheit haben, rechtzeitig Rechtsmittel einzulegen, weil aktuell Migrations- und Asylverfahrensberatungsstellen nicht mehr geöffnet haben und der Zugang zu Anwälten stark eingeschränkt ist. Wir fordern daher die Aussetzung negativer Asylbescheide des BAMF, hilfsweise die Aussetzung von Rechtsmittelfristen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für während der Coronakrise zugestellte ausländerrechtliche und Asylbescheide.

Zugang zu Ärzt*innen und Medikamenten sichern
In Berlin ist der Zugang Geflüchteter zu Arztpraxen und notwendigen Medikamenten nicht uneingeschränkt möglich (manche Praxen sind geschlossen, viele Praxen nehmen derzeit pauschal „keine neuen Patient*innen“, viele Praxen akzeptieren die vorläufige Bescheinigungen des LAF für neu aufgenommene Flüchtlinge nicht, weil die Versicherungsnummer fehlt, usw.). Die kassenärztliche Vereinigung muss unbedingt den Zugang zu ärztlicher Versorgung für Alle sicherstellen.

Zugang zu medizinsicher Versorgung für illegalisierte Menschen sichern
Für Menschen ohne Papiereund von Sozialleistungen ausgeschlossene EU-Bürger*innenmuss der Zugang zum regulären Gesundheitssystem und zu Corona-Tests ermöglicht werden. Dies erscheint auch epidemiologisch notwendig. Voraussetzung ist eine Zusage, dass Gesundheitsämter keine Informationen an Ausländerbehörden und Polizei weitergeben. Eine temporäre Gesundheitskarte einzuführen, wäre eine Lösung.

Aussetzung von Abschiebungen
Deutschland ist Hochrisikogebiet. Abschiebungen bedeuten nicht nur die Gefahr einer Infektion zwischen Abgeschobenen, Polizei und Flugpersonal, sondern auch der weltweiten Verbreitung des Virus. Abschiebungen sind daher in alle Länder sofort offiziell auszusetzen.Den Betroffenen sind Duldungen zu erteilen. Alle Inhaftierten aus der Abschiebehaft sind sofort zu entlassen, da Abschiebungen absehbar nicht möglich sind, und in Haftanstalten ein stark erhöhtes Infektionsrisiko besteht.

 

Kontakt:
Bei Fragen und Interviewwünschen rufen Sie uns gerne an oder schicken eine Email:
Flüchtlingsrat Berlin, Tel. 030 22 47 63 11, buero@fluechtlingsrat-berlin.de





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