Veröffentlicht am 28.11.2007

Abschiebungshaft Berlin: Polizeisanitäter wegen Körperverletzung verurteilt

Erneut ärztliche Hilfe bei Herzinfarkt verweigert
Flüchtlingsrat fordert polizeiunabhängige medizinische Versorgung

Presseerklärung vom 28.11.07


Am 21. November 2007 wurde ein Strafverfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten gegen einen Polizeibeamten, der als Sanitäter in der Abschiebehaft Berlin – Köpenick tätig ist, mit einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt abgeschlossen.

Am 28. Mai 2005 gegen 20 Uhr erlitt der algerische Flüchtling Herr B. in der Polizeigewahrsam Berlin – Köpenick einen Herzinfarkt. Erst vier Stunden später, gegen 0.30 Uhr, nachdem die anderen Häftlinge massiv damit gedroht hatten, „Probleme“ zu machen, brachten die Polizisten Herrn B mit einem Gefangenentransporter gefesselt in die Notaufnahme eines Krankenhauses.

Herr B. hatte sich zuvor mehrfach nachdrücklich an die Polizeibeamten und den Sanitäter der Abschiebehaftanstalt vergeblich mit Bitte um sofortige ärztliche Hilfe gewandt hatte. Im Krankenhaus wurde ein akuter Herzinfarkt festgestellt, an deren Folgen der Geschädigte nunmehr dauerhaft leidet und nur noch über 50% der Herzmuskelleistung verfügt. Es dürfte hinreichend bekannt sein, dass bei akutem Herzinfarkt jede Minute zählt.

Die Verurteilung erfolgte auch, weil der angeklagte Polizeisanitäter Herrn B. auf seine Zelle zurückgeschickt hatte, obwohl das in der Haftanstalt vorhandene EKG-Gerät nicht funktionierte und der Geschädigte über alle typischen Herzinfarktsymptome klagte und unter sehr massiven Schmerzen litt.

Der Flüchtlingsrat Berlin begrüßt, dass es nicht wie in einem Verfahren gegen einen Polizeisanitäter, der im Jahr 2001 einem Abschiebehäftling bei akutem Herzinfarkt ebenfalls die medizinische Hilfe verweigert hatte, zu einer Einstellung gegen Geldbuße gekommen ist, und nunmehr strafrechtliche Konsequenzen gezogen wurden. Seinerzeit konnte der ebenfalls unter massiven Brustschmerzen leidende Häftling nach verweigerter Hilfe durch Polizeisanitäter und Polizeiärztin (deren Diagnose: „Sie haben sich den Magen verdorben“) erst durch einen Anruf über sein Handy beim Polizeinotruf erreichen, dass er – ebenfalls gefesselt – ins Krankenhaus gebracht wurde.[1]

Angesichts der Schwere der gesundheitlichen Schädigung – der Vorfall hätte beinahe zum Tod des Betroffenen geführt – mutet es allerdings merkwürdig an, dass der als Sanitäter über medizinische Kenntnisse verfügende und durch den entsprechenden Vorfall in 2001 vorgewarnte Polizist nur eine sehr geringe Strafe erhielt, so als handele es sich um einen Ladendiebstahl.

Zudem waren an dem Vorfall weitere straffrei gebliebene Polizisten beteiligt, die offenbar lieber Fußball sehen wollten, als dem lebensbedrohlich kranken Häftling zu helfen. Es war an diesem Samstagabend in Berlin extrem schwülwarm, 35 Grad Außentemperatur, unbekannte Innentemperatur, die Fenster in dem Betonplattengefängnis können die Häftlinge nicht selbst öffnen. Die Diagnose der Polizisten: „Sie müssen bei diesem Wetter eben mehr trinken!“

Der Vorfall bestätigt erneut die Notwendigkeit, eine von der Polizei unabhängige medizinische Versorgung in der Abschiebehaftanstalt sicherzustellen.

Der durch den Herzinfarkt geschädigte algerische Flüchtling Herr B. wurde nach der Krankenhausbehandlung vom Sozialamt Pankow in die von der AWO betriebene Berliner Asylerstaufnahmestelle (Motardstrasse) eingewiesen, wo er bis heute lebt. Diese Unterkunft in Berlin-Spandau wird aufgrund eines Vertrages mit der Senatssozialverwaltung auch als faktisches „Ausreisezentrum“ für geduldete Flüchtlinge genutzt, wenn diese aus Sicht der Sozialämter nicht ausreichend bei der Beseitigung von Abschiebungshindernissen mitwirken. Sie erhalten dort auf Grundlage des § 1a Asylbewerberleistungsgesetz anstelle der sonst üblichen abgesenkten Geldleistungen lediglich Unterkunft und Vollverpflegung mangelhafter Qualität.

Im Fall von Herrn B., der aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden sollte, ist – unabhängig von dieser zweifelhaften Unterstellung – auch deshalb dringend eine andere Unterkunft nötig, da die gelieferte Vollverpflegung keineswegs seinen Bedürfnissen als Herzkranker an einer besonderen, vollwertigen aber cholesterinfreien Diät entspricht.

Der Flüchtlingsrat fordert das Sozialamt Pankow auf,

  • Herrn B. umgehend eine seiner Krankheit angemessene Unterbringung und individuelle Selbstverpflegung – z.B. in einer Privatwohnung – zu ermöglichen und seine Sozialleistungen nicht weiter zu kürzen.

Der Flüchtlingsrat fordert den Berliner Innensenator auf,

  • unverzüglich in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer und den Wohlfahrtsverbänden eine von der Polizei unabhängige kompetente medizinische und psychologische Regel- und Notfallversorgung in der Abschiebungshaft sicherzustellen,
  • die erforderlichen dienstrechtlichen Konsequenzen gegen alle an dem Vorfall beteiligten Polizisten zu treffen, und
  • Herrn B. wegen seiner vom Land Berlin wohl mit zu verantwortenden schweren gesundheitlichen Schädigung nunmehr endlich ein Bleiberecht aus humanitären Gründen zu gewähren.

Flüchtlingsrat Berlin
Berlin, 28. November 2007

[1] Vgl. „Polizeiabschiebehaft Berlin-Grünau – lebensgefährlich? Beinahe-Todesfälle häufen sich, Dokumentation vom 03.06.05“





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