Anhörung im Bundestag zu Zwangsheirat, Bleiberecht und Residenzpflicht
Pressemitteilung vom 11. März 2011
Der Gesetzentwurf[1] zur Änderung des Ausländerrechts geht nicht über kosmetische Korrekturen hinaus, an anderen Stellen führt er zu massiven Verschlechterungen. Das geplante Bleiberecht für nur wenige Tausend Jugendliche bundesweit ist mehr als mangelhaft. Der Flüchtlingsrat Berlin fordert stattdessen eine wirksame Bleiberechtsregelung, die auch für Kinder unter 15 Jahren, für Eltern, für Alleinstehende und für Paare ohne Kinder gilt.
Am Montag, 14. März 2011, steht bei einer Experten-Anhörung im Bundestags-Innenausschuss ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Aufenthaltsrecht zur Debatte, der u.a. den Schutz vor Zwangsheirat verbessern soll.[2]
Tatsächlich wird die „Mindestehebestandszeit“ sogar noch heraufgesetzt: Wer nach dem Scheitern einer Ehe ein Aufenthaltsrecht erhalten will, muss nun drei statt bisher zwei Jahre die eheliche Lebensgemeinschaft führen. Viele Frauen müssen deshalb künftig ein Jahr länger Gewalt in der Ehe und/oder eine Zwangsehe ertragen, bevor sie eine eigenständige Aufenthaltserlaubnis erhalten. Trennen sie sich vorher von ihren Ehepartner, droht die Abschiebung.
Der Gesetzentwurf sieht auch ein Bleiberecht für gut integrierte, bisher nur geduldete Jugendliche vor. Davon können bundesweit von den derzeit ca. 90.000 Geduldeten jedoch nur wenige Tausend profitieren.[3] Die Regelung gilt nämlich nur für Jugendliche, die
1. im Alter von 0 – 13 Jahren nach Deutschland gekommen oder hier geboren sind
2. inzwischen 15 bis 20 Jahre alt sind,
3. bereits sechs Jahre in Deutschland die Schule besucht haben,
4. noch in Ausbildung sind oder eine existenzsichernde Arbeit haben und
5. gute Integrationsleistungen nachweisen (gute Schulnoten, Schulabschluss etc.).
Nur wenn alle fünf Bedingungen erfüllt sind, wird ein Bleiberecht erteilt. Wer die Altersgrenze oder eine andere Bedingung nicht erfüllt, wird abgeschoben oder weiter nur geduldet.
Die Koalitionsfraktionen möchten den Gesetzentwurf sogar noch verschärfen[4]: Eltern sollen anders als bisher geplant nur dann ein Bleiberecht erhalten, wenn ihre Kinder alle vorgenannten Bedingungen 1.-5. erfüllen und nicht älter als 17 Jahre sind. Außerdem müssen sie ihren Lebensunterhalt komplett eigenständig durch Arbeit sichern. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, können die Eltern abgeschoben werden, so bald die Kinder volljährig sind. Die Jugendlichen sind dann gezwungen, sich entweder für das Bleiberecht oder für ihre Familie zu entscheiden.
Der Flüchtlingsrat Berlin fordert eine wirksame Bleiberechtsregelung, die statt ökonomischen Nützlichkeitskriterien humanitären Maßstäben genügt. Auch Kinder unter 15 Jahren und ihre Eltern, Eltern mit Kindern über 17 Jahren, Paare ohne Kinder und Alleinstehende, Kranke und Erwerbsunfähige müssen ein Bleiberecht erhalten, wenn sie in Deutschland ihren Lebensmitteilpunkt haben.
Zur Residenzpflicht enthält der Gesetzentwurf ebenfalls nur marginale Verbesserungen. Lediglich zum Zweck der Arbeitsaufnahme soll die Aufenthaltsbeschränkung gelockert werden können. Für die meisten Betroffenen ändert das nichts, zumal sie in der Regel ohnehin einem Arbeitsverbot unterliegen.
„Die Residenzpflicht ist ein diskriminierendes Sondergesetz, das ersatzlos gestrichen werden muss. Der Gesetzentwurf ist insgesamt nicht akzeptabel“, kommentiert Martina Mauer vom Flüchtlingsrat Berlin. Zum Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge findet sich überhaupt nichts in dem Entwurf, obwohl die FDP die Abschaffung des Arbeitsverbotes fordert und zumindest Verbesserungen in die Koalitionsvereinbarung hineinverhandelt hatte.
Bei der öffentlichen Anhörung sind VertreterInnen der Flüchtlingsinitiative „Jugendliche ohne Grenzen“ als Zuhörer anwesend, die der Presse vor Ort für Interviews zur Verfügung stehen. Einige sind selbst von der geplanten Bleiberechtsregelung betroffen.
[1] Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften, BT-Drs 17/4401: www.dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/044/1704401.pdf
[2] Öffentliche Anhörung im Innenausschuss des Bundestags, Mo 14. März 2011, 13-15.30 Uhr, Paul-Löbe-Haus, Raum 2300, 10557 Berlin, Konrad-Adenauer-Straße (gegenüber vom Kanzleramt, U-Bahn Bundestag). Weitere Infos und Stellungnahmen der Sachverständigen siehe www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a04/Anhoerungen/Anhoerung07/index.html
Interessierte Zuhörer werden gebeten, sich vorher unter Nennung des Namens und Geburtsdatums beim Ausschuss anzumelden: innenausschuss@bundestag.de. Zur Anhörung ist ein Ausweisdokument mitzubringen und etwas Zeit für Sicherheitskontrollen einzuplanen.
[3] Vgl. BT-Drs. 17/4310. Derzeit leben 87.191 Menschen mit dem unsicheren Status der ‚Duldung‘ in Deutschland, rund zwei Drittel von ihnen länger als sechs Jahre. Unter den langjährig Geduldeten befinden sich besonders viele Kinder und Jugendliche: 75 Prozent der 6-16 Jährigen leben bereits länger als sechs Jahre in Deutschland (10.288 von 13.632). Das Problem der Kettenduldungen konnten auch alle bisherigen Bleiberechtsregelungen nicht lösen.
[4] Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, Ausschussdrucksache 17(4)205: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a04/Anhoerungen/Anhoerung07/Aenderungsantrag.pdf