23.04.2015: Gesundheitskarten nach AsylbLG für alle Flüchtlinge in Berlin sofort!

Vorgelegt beim Runden Tisch Flüchtlingsmedizin der Senatsverwaltung für Gesundheit am 04.03.2015


Tischvorlage Runder Tisch Flüchtlingsmedizin 04.03.2015 (pdf)
Vortrag bei der SPD Berlin 23.04.2015 (pdf)

Vorgelegt beim Runden Tisch Flüchtlingsmedizin der Senatsverwaltung für Gesundheit am 04.03.2015

Papierkrankenscheine in Berlin – Bürokratie und verschleppte Leistungen

In Berlin existiert seit Jahrzehnten eine Vereinbarung mit der AOK nach § 264 Abs 1 SGB V zur Behandlung Sozialhilfe- und AsylbLG-Berechtigter.
Seit 2004 erhalten nicht GKV-versicherte Sozialhilfeberechtigte Versichertenkarten nach § 264 Absatz 2 SGB V von einer GKV nach Wahl. Dies gilt ebenso für AsylbLG-Berechtigte, die mehr als vier Jahre (ab 1. März 2015: 15 Monate) hier sind und zudem die weiteren Voraussetzungen des § 2 AsylbLG erfüllen. Die Vereinbarung mit der AOK beschränkt sich seither auf Leistungsberechtigte nach §§ 1a oder 3 AsylbLG.

Es werden nur Papierkrankenscheine ausgegeben. Viele Leistungen sind garnicht von der Vereinbarung erfasst und unterliegen der Genehmigungspflicht des Sozialamts: stationäre Behandlung, Physiotherapie, häusliche Krankenpflege, Inkontinenzhilfen, Hilfsmittel für Behinderte, Seh- und Hörhilfen etc.
Die Papierkrankenscheine und die Genehmigungspflicht führen zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand für LAGeSo, Bezirksämter und amtsärztlichen Dienst des LAGeSo.

Angesichts knapper Personalressourcen beim LAGeSo kommt es auch bei unaufschiebbaren Behandlungen zu unzumutbaren Verzögerungen. Selbst die Ausgabe der Papierkran-kenscheine funktioniert vielfach nicht mehr. Betroffenen erleiden unnötige Schmerzen, Krankheiten werden verschleppt,  Rettungsstellen und Notärzte/-innen müssen in Anspruch genommen werden. Diese ist auch enorm kostentreibend.

Unaufschiebbare Operationen und Anschlussbehandlungen sowie Hilfen für Pflegebedürftige und Behinderte werden über viele Monate verzögert, vgl. Stellungnahme Flüchtlingsrat v. Oktober 2014 zur AsylbLG-Novelle für den AS-Ausschuss des Bundestags, S. 39 ff., Classen_AsylbLG_2014_AS-Ausschuss.pdf.

Das Hamburger/Bremer Modell Gesundheitskarte nach AsylbLG

Im Rahmen eines weiteren Gesetzespaketes unter Federführung des BMI soll die Maßgaben der EU-Asylaufnahmerichtlinie 2013 bis zum Juli 2015 umgesetzt werden. Das BMAS will dabei im Rahmen einer weiteren AsylbLG-Novelle auch die medizinische Versorgung nach dem AsylbLG überprüfen. Bislang liegt allerdings noch nichtmal ein Referententwurf vor.

Berlin als Stadtstaat muss keine bundesweite Regelung abzuwarten. Bremen (2005) und Hamburg (2012) haben die Gesundheitsversorgung AsylbLG-Berechtigter gemäß § 264 Abs. 1 SGB V auf Krankenversichertenkarten umgestellt und vollständig der AOK Bremen/Bremerhaven übertragen, ebenso demnächst Münster und das Land Brandenburg.

AsylbLG-Leistungsberechtigte erhalten dort de facto den gleichen Leistungsumfang bei der ambulanten und stationären Krankenbehandlung wie gesetzlich Versicherte. Marginale Leistungseinschränkungen nach §§ 4 und 6 AsylbLG sind im Vertrag mit der AOK Bremen/Bremerhaven benannt (vgl. Anlage 1 zur Vereinbarung nach § 264 Absatz 1 SGB V mit der AOK Bremen/Bremerhaven, S. 13).

Die Genehmigungspflicht beschränkt sich auf Fälle, wo dies auch für regulär GKV-Versicherte gilt, wie Zahnersatz, kostenaufwändige Hilfsmittel für Behinderte oder Psycho-therapien. Auf der Krankenversichertenkarte sind daher keine Hinweise auf Leistungseinschränkungen gemäß AsylbLG vermerkt. Die AOK bezieht nur in ganz wenigen Aus-nahmefällen die Sozialbehörde in die Genehmigung ein, zB bei Langzeitpsychotherapien.

Vorteile für alle Beteiligten und Kosteneinsparungen

Der Zugang zu und Abrechnung der medizinischen Versorgung wird für Patienten/-innen, Leistungserbringer und Behörden wesentlich erleichtert. AsylbLG-Berechtigten müssen nicht mehr quartalsweise Krankenscheine abholen. Die Abrechnung wird durch Umstellung auf EDV vereinfacht. Durch Wegfall von Papierkrankenscheinen, Abrechungsaufwand und Be-gutachtungen käme es zu erheblichen Einsparungen bei Sozial- und Gesundheitsbehörden.
Nach den Erfahrungen in Hamburg und Bremen ist davon auszugehen, dass nach Ein-führung der Krankenversichertenkarten die Ausgaben für Behandlungskosten gleich blei-ben ̈. Durch den ungehinderten Zugang zu ambulanter Behandlung wird die Inanspruchnahme von Notdiensten vermieden. Die Kontrolle ist bei der AOK professioneller als bei der So-zialbehörde, die ambulante Behandlung unterliegt der für die GKV geltenden Budgetierung.
Die Verwaltungskostenpauschale für die Administration der Krankenversichertenkarten durch die AOK Bremen/Bremerhaven (zehn Euro/Person/Monat) zzgl einmalig 5 Euro pro Versichertenkarte und 5 Euro/Bedarfsgemeinschaft/Jahr für den MdK liegen bei etwa 6 % (ca 180 Euro/Person/Monat Gesundheitsausgaben in HH = 2160.-/Jahr, ca 130 Euro/Person/Jahr Kosten).

Beim Vergleich mit Berlin ist zu beachten, dass in Hamburg und Bremen von der AOK Bre-men/Bremerhaven übernommenen administrativen Dienstleistungen wesentlich umfangreicher sind, als die bisher in Berlin von der AOK Nordost gegen eine Verwaltungsgebühr von 5 % erbrachten administrativen Teilleistungen. Im Ergebnis sind in Berlin erhebliche Einsparungen zu erwarten.

Berlin 04.03.2015
Georg Classen
www.fluechtlingsrat-berlin.de

Vier Beispiele verschleppter Behandlung beim LAGeSo, Stand 22 Oktober 2014:

➢  Querschnittsgelähmter Mann, der nur liegen kann und dringend auf häusliche Pflege angewiesen ist. Bei Aufnahme hat der Sozialdienst des ZLA Unterstützung zugesagt. Pflegeplan wurde am 21. Juli eingereicht. Bisher gab es noch überhaupt keine Antwort. Bereitstellung von Heilmitteln (Urinbeutel, Unterlagen, Windelhosen) und Wundkontrolle funktioniert bisher nur durch ehrenamtliches Engagement einer Ärztin und die Pflege versucht die Tochter zu sichern. Die ist aber kräftemäßig am Limit.

➢  Dringende Augen-OP (Krebstumor) bei einem Kind (8 J.) wurde gestern vom KH abgesagt, weil auf der Krankenhausverordnung die Kostenübernahme des ZLA fehlte. Von Bewohner/innen habe ich mitbekommen, dass beim ZLA gesagt worden sein soll, man bräuchte keine Stempel mehr auf den Verordnungen (???) – mir nicht klar, was da los war.

➢  Dreijähriger muss regelmäßig zu Kontrolluntersuchung (unter Narkose im KH), nachdem ein Auge einer Krebserkrankung entfernt werden musste. Wichtig um zweites Auge rechtzeitig zu retten, falls der Krebs wieder auftaucht. Beim letzten Termin wurde er nicht aufgenommen, da die vorangegangen Rechnungen vom ZLA nicht bezahlt wurden. Weitere Schwierigkeit: der Junge hat ein Glasauge. ZLA hat Kosten für ein neues pro Jahr genehmigt. Aus fachlicher Sicht, wäre zwei pro Jahr notwendig, da ein Kind in dem Alter schnell wächst.

➢  Junger Mann mit Paranoiden Schizophrenie hatte Verordnung für Pflegedienst, da Medikamentengabe extrem wichtig. Nach halben Jahr haben wir vom Pflegedienst erfahren, dass sie bisher keine Kostenerstattung erhalten hatten. Aus Verantwortung sind sie dennoch gekommen, da sonst eine ernsthafte Gefahr bestanden hätte. Nach sechs Monaten haben sie abgelehnt weiter zu kommen, wenn nicht gezahlt wird.  Inzwischen wurde das geregelt, weil eine Rechtsanwältin eingeschaltet wurde.





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