Kammergericht: Abschiebungshaft für Minderjährige ist unverhältnismäßig
Pressemitteilung vom 24. März 2005
Flüchtlingsrat fordert Entlassung aller Minderjährigen aus der Abschiebehaft
Das Kammergericht Berlin hat in einem Beschluss vom 18. März 2005 (Aktenzeichen 25 W 64/04) die Inhaftierung eines 16jährigen Mädchens aus Liberia in der Abschiebehaft für rechtswidrig erklärt. Es hat dabei auch grundsätzliche Erwägungen zur Zulässigkeit der Anordnung von Abschiebungshaft für Minderjährige getroffen.
Dabei stützte sich das Gericht auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes Köln (vom 11.09.2002), die feststellt, dass „gerade Minderjährige von der Vollziehung einer Haftanordnung erheblich betroffen werden und hierdurch dauerhafte psychische Schäden davontragen.“
In diesem Zusammenhang stellt sich nach Auffassung des Gerichtes die Frage der Verhältnismäßigkeit des Handelns der Ausländerbehörde, die die Verantwortung für die Haftanordnung trägt. Möglichkeiten der Vermeidung von Abschiebungshaft wie die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung hatte die Ausländerbehörde im vorliegenden Fall nicht geprüft.
Der Flüchtlingsrat hatte in der Vergangenheit mehrfach auf die besondere psychische Belastung, die mit der Inhaftierung im Abschiebungsgewahrsam für Minderjährige verbunden ist, hingewiesen und sich dabei auch auf die Berichte der Seelsorger im Gewahrsam gestätzt. Durchschnittlich befanden sich nach Angaben der Seelsorger den vergangenen Monaten regelmäßig fünf bis sechs Jugendliche in der Abschiebunghaftanstalt Köpenick.
Abschiebehaft bedeutet für sie, wie ein „Krimineller“ behandelt zu werden; d.h. die Unterwerfung unter den Alltag einer Haftanstalt, keine Verfahrens- und Rechtsberatung, ungenügende soziale Beratung und Begleitung, eingeschränkte medizinische Versorgung, kein Recht auf Bildung etc.
Das Abgeordnetenhaus Berlin hatte sich bereits im September 2001 in einem Beschluss zur Vermeidung von Abschiebehaft für den generellen Verzicht der Inhaftierung vom Minderjährigen ausgesprochen. Dem ist die Senatsverwaltung nur eingeschränkt gefolgt. Die aktuelle Weisung vom 10.07.2003 sieht für Minderjährige eine Hafthöchstdauer von drei Monaten vor, die aber oft durch von der Ausländerbehörde einseitig vorgenommene Alterschätzungen unterlaufen wird. Das Verfahren der Altersschätzung wird vom Flüchtlingsrat, Rechtsanwälten und den Seelsorgern als nicht transparent und nicht nachvollziehbar kritisiert. Dies sieht das Kammergericht in seinem aktuellen Beschluss ebenso.
Der Senat nennt hat in der aktuellen Weisung die Möglichkeit, Abschiebungshaft zu vermeiden, wenn die Erreichbarkeit der Betroffenen durch eine Meldeadresse gewährleistet ist. Leider sind daraus bislang keine praktischen Konsequenzen gefolgt
Im Ergebnis des Beschlusses des Kammergerichtes muss die Hilfsbedürftigkeit der Minderjährigen und deren Unterbringung in einer pädagogisch betreuten Einrichtung unbedingt Vorrang vor der Festsetzung von Abschiebungshaft haben.
Der Flüchtlingsrat fordert den Innensenator auf, entsprechende Schritte zu unternehmen und die sofortige Freilassung aller Minderjährigen aus der Abschiebehaft zu veranlassen und an Stelle der Inhaftierung eine kind- bzw. jugendgerechte Unterbringung in geeigneten Jugendhilfeeinrichtungen sicherzustellen. Damit würde Berlin sich auch im Einklang mit der UN-Kinderrechtskonvention befinden, die die Inhaftierung von Minderjährigen nur als letztes Mittel bezeichnet (nach internationaler Terminologie definiert die Konvention alle Personen im Alter unter 18 Jahren als „Kind“):
Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11. 1989 Art. 37 (Abs.1):
„Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass keinem Kind die Freiheit rechtswidrig oder willkürlich entzogen wird. Festnahme, Freiheitsentziehung oder Freiheitsstrafe darf bei einem Kind im Einklang mit dem Gesetz nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden.“
Flüchtlingsrat Berlin
Berlin, 24.03.2005