Politische Masern – Berlin stoppt Asylaufnahme
Pressemitteilung Flüchtlingsrat vom 28. November 2014
Politische Masern in der Sozialverwaltung – Berlin stoppt Asylaufnahme mit vorgeschobener Begründung
TAZ 28.11.2014: Amt schickt Menschen auf die Straße
RBB 28.11.2014: Asylbewerber landen auf der Straße
RBB 29.11.2014: „Die Amtsärztin hat hier völlig überzogen reagiert“
Politische Masern in der Sozialverwaltung – Berlin stoppt Asylaufnahme mit vorgeschobener Begründung
Mit unzutreffender Begründung hat Berlins Zentrale Asylaufnahmebehörde ZAA beim Landesamt für Gesundheit und Soziales LAGeSo erneut die Aufnahme Asylsuchender rechtswidrig gestoppt.(1) Der Flüchtlingsrat Berlin fordert, für neu ankommende Asylsuchende sofort ausreichend adäquate Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, notfalls durch Beschlagnahme geeigneter Objekte.
Sozialsenator Czaja und LAGeSO Chef Allert erklärten am vergangenen Mittwoch dem Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses, dass das Land einen Aufnahmestopp für Asylsuchende verhängen musste, weil in allen sechs Berliner Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende die Masern oder Windpocken ausgebrochen seien. Asylsuchende werden seither auf andere Bundesländer verteilt oder auch in die Obdachlosigkeit geschickt.(2)
Tatsächlich gilt ein Aufnahmestopp wegen Masern bzw. Windpocken nur in zwei der sechs Berliner Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende. In den vier weiteren Erstaufnahmeeinrichtungen – eine in Norden Spandaus, eine in Charlottenburg und zwei in Lichtenberg – gibt es keine solche Quarantäne.
In zwei großen Erstaufnahmeeinrichtungen in Spandau ist jeweils eine Handvoll Kinder erkrankt. Beide Unterkünfte bestehen jeweils aus mehreren Wohngebäuden, auch ein Quarantänebereich für Familien mit kranken Kindern wird vorgehalten. Weshalb beide Gebäudekomplexe dennoch komplett unter „Quarantäne“ gestellt wurden, bleibt das Geheimnis der zuständigen Spandauer Amtsärztin. Nicht nur weil die Flüchtlinge das Gebäude tagsüber verlassen können – ein Einsperren der Menschen wäre rechtswidrig(3) – erschließt sich der Sinn der Maßnahme nicht. Besonders problematisch ist die Quarantäne für eine der beiden Erstaufnahmeeinrichtungen in Spandau, die als einzige Berliner Unterkunft normalerweise auch nachts und am Wochenende neu eintreffende Flüchtlinge aufnimmt.
Die unsinnige Spandauer „Quarantäne“ erinnert an die unverantwortliche Panikmache des Gesundheitsamtes Reinickendorf, das vor einem Jahr ein Flüchtlingsheim durch die Polizei absperren ließ, weil einige Kinder die Windpocken hatten.(4)
Georg Classen vom Flüchtlingsrat: „Wir unterstützen die Forderungen des LAGeSo nach mehr Personal zur Asylaufnahme, um die es hier offenbar geht. Es ist aber ein politischer Skandal, wenn die Durchsetzung der berechtigten Forderungen mit unzutreffender Begründung auf dem Rücken der Asylsuchenden geschieht, denen erneut die Asylaufnahme verweigert wird.“
In Berlin stehen aktuell mindestens 48 Unterkünfte zur Unterbringung Asylsuchender zur Verfügung.(5) Zur Erstaufnahme werden vom LAGeSo Berlin auch viele der nicht offiziell als Erstaufnahme deklarierten 42 Berliner Gemeinschaftsunterkünfte für Asylsuchende genutzt. Dies ist unproblematisch, weil Berlin – anders als andere Bundesländer – das behördliche Asylaufnahmeverfahren nicht in der Unterkunft, sondern in Behördengebäuden des LAGeSo in Moabit (ZAA) und des Asylbundesamtes (BAMF) in Spandau durchführt.
Der Flüchtlingsrat fordert das Land angesichts der vollbelegten Unterkünfte auf, zur Vermeidung von Obdachlosigkeit leere Gebäude nach dem ASOG zu beschlagnahmen. Denkbar wären neben anderen öffentlichen und privaten Immobilien zB. leere Kasernen des Bundes im Wedding und in Spandau.
Etwa 100 Wohnungen des Bundes stehen nach Auskunft von AnwohnerInnen in der Beermannstr. 20 bis 22 in Treptow leer, die bisherigen Mieter sind erst kürzlich ausgezogen. Die Häuser sollen abgerissen werden, da die Grundstücke ab 2016 für die Baulogistik (nicht Trasse) der A100 benötigt würden.(6) Eine Zwischennutzung durch Asylsuchende würde den Autobahnbau weder verzögern noch gefährden.
Pressekontakt: Flüchtlingsrat Berlin, Tel: 030 24344 57 62, am Freitag vormittag auch 030 695 64 992, buero@fluechtlingsrat-berlin.de (bitte schreiben Sie uns eine E-Mail, falls Sie uns telefonisch nicht erreichen!)
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(1) Vgl. bereits unsere PE vom 03.09.14: Sozialsenator Czaja setzt Asylrecht in Berlin außer Kraft, vom 14.08.14: LAGeSo schickt Asylsuchende wieder in die Obdachlosigkeit und vom 04.10.13: LAGeSo Berlin setzt neu ankommende Asylsuchende rechtswidrig in die Obdachlosigkeit aus.
(2) So der Bericht des LAGeSo-Personalrats, vgl. Berliner Zeitung vom 27.11.2014.
(3) Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 17. Juni 2013, VG 14 L 282.13: Ein Flüchtlingswohnheim ist anders als ein Krankenhaus oder ggf. eine einzelne Wohnung kein zulässiger Ort für eine Quarantäne nach dem Infektionsschutzgesetz.
(4) Vgl. unsere PE vom 25.06.13: Reinickendorf – Panikmache vor schutzsuchenden Flüchtlingen stoppen!
(5) Liste der Unterkünfte vom 25.11.2014: Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschafts- und Notunterkünfte für Asylsuchende mit Hinweise auf Aufnahme und Verlegungsstopps (Grund sind jeweils Masern/Windpocken)
(6) Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll 17/41, 16. Januar 2014, Seite 4139.