Veröffentlicht am 23.12.2014

Flüchtlinge auch über Weihnachten versorgen!

Pressemitteilung vom 23. Dezember 2014


RBB 22.12.2014: Gibt es Platz in der Herberge?
TAZ 22.12.2014: Wohnen statt Turnen
RBB 23.12.2014: Flüchtlingsrat rügt Gesetzesverstöße gegenüber Asylbewerbern

Flüchtlingsrat fordert: Flüchtlinge auch über Weihnachten versorgen!

Der Flüchtlingsrat stellt mit großer Sorge fest, dass das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) neu in Berlin eintreffende Asylsuchende – wenn überhaupt – häufig nur noch unterbringt und mit Essen versorgt. Entgegen den Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes unterbleibt jede darüber hinausgehende soziale Versorgung (Taschengeld, BVG-Tickets, Krankenscheine, Kleidung usw.) ebenso wie die förmliche Einleitung eines Asylverfahrens beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMF.

Viele Asylsuchende erhalten derzeit bei der Zentralen Asylaufnahmestelle ZAA des LAGeSo nur eine Bescheinigung, dass eine „Abfertigung leider nicht möglichgewesen sei, dazu die Adresse einer Notunterkunft in einer Turnhalle o.ä., und einen neuen Termin zur Wiedervorsprache eine Woche später. Manche werden auch gänzlich obdachlos gelassen oder mit einem in der Praxis nicht einlösbaren Hostelgutschein ausgestattet.[1]

Dementsprechend steigt die Zahl der wöchentlich bei der ZAA vorsprechenden Asylsuchenden: Zu den tatsächlich neu ankommen Flüchtlingen kommen jene hinzu, die bisher unversorgt geblieben sind. Dadurch erklären sich auch die missverständlich hohen Zahlenangaben des LAGeSo zu täglich in Berlin vorsprechenden Asylsuchenden. Von den derzeit bundesweit monatlich etwa 20 000 Asylsuchenden[2] muss Berlin 5,1 Prozent aufnehmen, d.h. etwa 1 000 monatlich neu in Berlin unterzubringende Asylsuchende. Das bedeutet arbeitstäglich etwa 50 neu unterzubringende Asylsuchende, nicht aber täglich mehr als 1 000 wie in den letzten Tagen teilweise vom LAGeSo behauptet. Weitere etwa 150 Asylsuchende täglich sind von der ZAA Berlin gemäß dem „Königsteiner Schlüssel“ auf andere Bundesländer umzuverteilen.[3]

Die ohne jedes Bargeld gelassenen Asylsuchenden sehen sich gezwungen, ohne Fahrschein zu fahren, da notwendige Wege zu Ämtern, sprachkundigen Beratungsstellen, Ärzten usw. in Berlin nur selten zu Fuß zurückzulegen sind. Noch vor dem förmlichen Asylantrag werden so die Asylsuchenden kriminalisiert. Aufgrund der fehlenden Krankenscheine ist auch die medizinische Versorgung nicht gewährleistet. Im Notfall könnten Asylsuchende sich zwar an die Rettungsstelle eines Krankenhauses wenden. Ohne Krankenschein werden jedoch allenfalls unabweisbare Fälle erstversorgt, ansonsten wird auf niedergelassene Ärzte verwiesen. Rettungsstellen können weder Medikamente auf Krankenschein verordnen noch eine laufende ambulante Krankenversorgung leisten.

Die Unterstützungsbereitschaft der Berliner Bevölkerung für neu aufgenommene Asylsuchende ist trotz der Mobilisierung seitens Rechtsradikaler gegen die Aufnahme von Flüchtlingen so groß wie nie. Die Gewährleistung von medizinischer Versorgung, Fahrkarten, Taschengeld usw. ist aber ehrenamtlich nicht zu leisten.

„Die Berliner Sozialverwaltung handelt klar rechtswidrig, wenn sie Asylsuchende einfach unversorgt wegschickt und auf einen späteren Termin verweist. Wir fordern den Regierenden Bürgermeister auf, das Thema sofort zur Chefsache zu erklären und noch vor Weihnachten das Nötige zu veranlassen, um die Versorgung der Menschen auch während der Feiertage sicherzustellen,“ sagt Martina Mauer Sprecherin des Flüchtlingsrats.

Der Flüchtlingsrat Berlin fordert den Regierenden Bürgermeister und den gesamten Berliner Senat auf:

  • eine ausreichende Personalausstattung und Organisation des LAGeSo sicherzustellen,
  • die zeitnahe Einleitung der Asylverfahren sowie die Versorgung der Asylsuchenden sicherzustellen,
  • angesichts der aktuellen Unterbringungsnotlage auch das vorläufige Wohnen in privaten Unterkünften bei Angehörigen usw. ab dem ersten Tag der Asylantragstellung zuzulassen,
  • die Wohnungssuche für Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge zu erleichtern durch die Ausstellung rechtsverbindlicher Mietübernahmescheine von Amts wegen beim LAGeSO und den Jobcentern, die Ausstellung von Wohnberechtigungsscheinen auch für Asylsuchende, die Sicherung von Wohnungskontingenten bei landeseigenen und gemeinnützigen Vermietern, und die Wiedereinführung einer sozialen Wohnungspolitik und eines sozialen Wohnungsbaus,
  • die Beschlagnahmung geeigneter Immobilien (fester Gebäude) des Bundes, des Landes und von Privateigentümern statt der Unterbringung in Containern, Tragluftzelten und Turnhallen. Zu prüfen wären z.B. die 100 leeren Wohnungen des Bundes an der Trasse der A 100 an der Beermannstraße in Treptow, die ehem. Lungenklinik Heckeshorn und die leerstehenden Bundeswehrkasernen im Wedding.[4]

Kontakt: Flüchtlingsrat Berlin, buero@fluechtlingsrat-berlin.de. Bitte schreiben Sie uns eine E-Mail mit Angabe Ihrer Rückrufnummer!

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Hintergrund: Die Aufgaben der Zentralen Aufnahmestelle für Asylsuchende ZAA beim LAGeSo

Die Zentrale Asylaufnahmestelle ZAA beim Landesamt für Gesundheit und Soziales ist im Land Berlin als Erst-aufnahmestelle zuständig für die Annahme von Asylgesuchen. Die ZAA leitet das Asylgesuch an die Außenstelle des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMF im zugewiesenen Bundesland weiter, wo die förmliche Asylantragstellung erfolgt. Nach Berlin zugewiesene Asylsuchenden erhalten bei der ZAA einen Laufzettel mit Terminen bei der Berliner Außenstelle des BAMF (Asylantrag, ggf. Asylinterview), beim Gesundheitsamt (zum TBC-Screening) usw.[5] All dies funktioniert derzeit nur mit erheblicher Verzögerung.

Zu den Aufgaben der ZAA gehören nicht zuletzt auch der Nachweis einer Unterkunft in einer Erstaufnahmeein-richtung (§ 47 Asylverfahrensgesetz) und die Existenzsicherung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Dazu gehören die Übernahme der Kosten der Unterkunft und die Gewährung von Leistungen für Kleidung, Verpflegung, Hygienebedarf sowie Tickets für Behördentermine, die Auszahlung des Taschengeldes nach § 3 AsylbLG (Barbetrag zur Sicherung persönlicher Bedürfnisse), für Alleinstehende derzeit 140,- Euro/Monat[6], sowie die Ausgabe von Krankenscheinen zur ärztlichen und zahnärztlichen Behandlung nach §§ 4 und 6 AsylbLG.
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[1] LAGeSo lässt reguläre Asylsuchende immer wieder rechtswidrig vollständig in der Obdachlosigkeit, vgl. bereits unsere PE 28.11.2014: Politische Masern – Berlin stoppt Asylaufnahme; 03.09.2014: Sozialsenator Czaja setzt Asylrecht in Berlin außer Kraft; 14.08.2014: LAGeSo schickt Asylsuchende wieder in die Obdachlosigkeit und 04.10.2013: LAGeSo Berlin setzt neu ankommende Asylsuchende rechtswidrig in die Obdachlosigkeit aus.
[2] Aktuelle Asylstatistiken BAMF: www.bamf.de/DE/Infothek/Statistiken/Asylzahlen/asylzahlen-node.html.
[3] Bundesweite Umverteilung: www.bamf.de/DE/Migration/AsylFluechtlinge/Asylverfahren/Verteilung/verteilung-node.html. Die Flüchtlinge erhalten von der ZAA einen Zuweisungsbescheid und einen Gutschein für eine Fahrkarte, vgl. www.berlin.de/imperia/md/content/lageso/soziales/verfahrensablauf_zaa.pdf. Da in Berlin mehr Asylanträge gestellt werden, als Berlin Asylsuchende aufnehmen muss, werden normalerweise etwa 75 % der Asylsuchenden von Berlin auf andere Bundesländer umverteilt.
[4] Vgl. unsere PE vom 28.11.14 Politische Masern.
[5] Aufgabenbeschreibung und Verfahrensablauf ZAA Berlin siehe www.berlin.de/lageso/soziales/asyl/#zaa.
[6] Tabelle Barbetrag: www.berlin.de/sen/soziales/berliner-sozialrecht/archiv/rdschr/2012_04_2014_anlage.html#2.





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