Veröffentlicht am 06.07.2022

06.07.2022: Erneut rechtswidrige Aufnahmebedingungen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Berlin

Gemeinsame PM von FR Berlin, BBZ, BumF, BNS und terre des hommes

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Abermals sind Berlins Strukturen der Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten (UMG) – wie 2015/16 – völlig überlastet. Die Zahl der in Berlin ankommenden UMG ist seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine wieder deutlich gestiegen.

Seit 2017 hat die Senatsverwaltungs für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) die Aufnahme- und Unterbringungsstrukturen für UMG massiv abgebaut, trotz zahlreicher Warnungen von NGOs und Fachpersonal, dass die Ankunftszahlen jederzeit wieder steigen könnten.

Lessons learnt?  Fehlanzeige!

Wochenlange Wartezeiten auf ein erstes Clearinggespräch, zahlreiche illegale Jugendhilfeunterkünfte ohne Betriebserlaubnis für die Inobhutnahme und entsprechende Trägerverträge (die Inhalt, Umfang, Qualität der Leistung, das Entgelt und die fachliche Qualitätskontrolle regeln) und eine völlig unzureichende, nur lückenhafte Betreuung sind die Folgen. Dies trifft am härtesten die Gruppe der jungen Geflüchteten.

Besonders eklatant ist die rechtswidrige Unterbringung von UMG in Unterkünften mit Trägern ohne die Betriebserlaubnis für die vorläufige Inobhutnahme. Dies ist ein Verstoß gegen die jugend­hilferechtlichen Schutzvorschriften nach § 45 SGB VIII und  § 30 ff. AG KJHG Berlin. Für den Betrieb einer Einrichtung zur Betreuung und Unterbringung von UMG ist eine behördliche Erlaubnis nach § 45 SGB VIII zwingend, der illegale Betrieb bußgeldbewehrt und ggf. strafbar (§ 104 f. SGB VIII).

Die Inobhutnahme ist als sozialpädagogische Schutzmaßnahme im SGBVIII eine besondere Vorschrift, eine sogenannte „andere Aufgabe“ des Jugendamtes, die nicht einfach im Rahmen der Hilfen zur Erziehung geleistet werden kann sondern klar davon getrennt wird. Daraus und aus dem dahinter stehenden Kinderschutzgedanken ergeben sich die vergleichsweise hohen Standards, die auch im Bereich der vorläufigen Inobhutnahme nach §42a  SGBVIII gelten.

Genau diese Rechtsverstöße und Qualitätsmängel bei der Unterbringung von UMG und die damit verbundenen Verstöße von SenBJF gegen das Vergaberecht hatte der Berliner Landesrechnungshof bereits 2017[1] öffentlich scharf kritisiert. Denn bezüglich Unterkünften ohne Betriebserlaubnis existieren keine öffentlich-rechtlichen Verträge, in denen die notwendigen Inhalte für die ambulante Betreuung und das Betreuungsentgelt nach §§ 77, 78a ff. SGB VIII verbindlich vereinbart werden. Dies erfüllt in keinster Weise kinderrechtliche Standards oder die Vorgaben des Kinderschutzes. Es findet weder eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung statt, wie bei neu eingereisten Kinden und Jugendlichen ansich vorgesehen, noch müssen sich diese Betreiber an die sonstige Vorgaben halten, wie die Mindestquadratmeterzahl pro Person, Bewohner:innenbeteiligung oder die adäquate Bezahlung der Angestellten.

Zudem fehlt es an qualifiziertem Personal und die Privatsphäre der Jugendlichen wird nicht gewahrt, da Räume überbelegt und oft nicht abschließbar sind.

Ein weiteres Problem sind die ca 3-4 Wochen Wartezeit auf das erste Clearinggespräch bei SenBJF, bei dem die Minderjährigkeit überprüft werden soll. Nach dieser Feststellung nimmt Berlin sich einen Monat Zeit, die:den UMG in andere Bundesländer zu verteilen, sofern keine Berlinzuständigkeit besteht. Durch die lange Wartezeit sind aber die Kinder und Jugendlichen zum Teil schon 6-8 Wochen in Berlin und haben sich bereits begonnen einzuleben, Freundschaften zu knüpfen usw. Und das, obwohl fast alle ukrainischen Kinder und Jugendlichen mit einem Identitätsdokument eingereist sind und ihre Minderjährigkeit unstrittig fetsteht.

Wir fordern die zuständige Senatorin auf
* eine Umverteilung mehr als einen Monat nach der ersten Inobhutnahme gemäß § 42b Abs. 4 SGB VIII zu unterlassen, wenn die Minderjährigkeit anhand der Ausweisdokumente von vornherein unstrittig feststeht;
* Trägern ohne die entsprechende Betriebserlaubnis für die Inobhutnahme keine Kinder und Jugendlichen mehr anzuvertrauen. Ein Betrieb solcher Einrichtungen mit Trägern ohne die entsprechende Betriebserlaubnis ist unverzüglich zu untersagen. Kinderschutz-, Betreuungs- und Sicherheitskonzepte sind für eine Betriebserlaubnis rechtlich zwingend;
* schnell ausreichende Kapazitätenzu schaffen und rechtskonforme Aufnahme- und Unterbringungsstrukturen für UMG in Berlin bereitstellen, die auf Qualität und Dauerhaftigkeit und mit zertifizierten Trägern umgesetzt werden. Die Arbeit der Sozialarbeitenden mit UMG in der Jugendhilfe muss angemessen entlohnt und gewürdigt und der Quereinstieg bei vorhandenen Qualifikationen gefördert werden.

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Pressekontakte:

BBZ, Daniel Jasch, Tel. 030 6664 07 21, Email: d.jasch@kommmitbbz.de

Bundesfachverband umF, Helen Sundermeyer , Tel 0157 53678775, h.sundermeyer@b-umf.de

 

[1] Rechnungshof von Berlin, Jahresbericht 2017, Kapitel 14 „Erhebliche Rechtsverstöße bei der Unterbringung unbegleitet  eingereister, minderjähriger Flüchtlinge“ sowie Pressemitteilung zum Jahresbericht 2017 vom 21. Juni 2017 Seite 10 „Rechtsverstöße und Steuerungsmängel bei der Unterbringung unbegleitet eingereister, minderjähriger Flüchtlinge müssen dringend beseitigt werden„, beide Dokumente als downloads unter

www.berlin.de/rechnungshof/aktuelles/veroeffentlichungen/artikel.357519.php





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