Berlins Zentrale Asylaufnahmestelle schickt Asylsuchende in die Obdachlosigkeit
Presseinformation vom 30. August 2013
Seit Freitag vergangener Woche schicken die Sachbearbeiter/innen der zum Landesamt für Ge-sundheit und Soziales LAGeSo Berlin gehörenden Berliner Zentralen Asylaufnahmestelle ZAA asylsuchende Flüchtlinge, die einen „Asylfolgeantrag“ stellen wollen, zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BAMF und entlassen sie ohne jegliche soziale Hilfen in die Obdachlosigkeit.
Anders als gesetzlich vorgeschrieben – § 1 Abs. 1 Nr. 7 Asylbewerberleistungsgesetz – AsylbLG [1] – und auf der Internetseite der ZAA erläutert (www.berlin.de/lageso/soziales/asyl/#zaa), erhalten die Asylsuchenden seit Freitag 23.08.2013 bei der ZAA weder das Existenzminimum nach dem AsylbLG (Grundleistungen, Krankenscheine) noch die Kostenübernahme für eine Unterkunft in einer Asylaufnahmeeinrichtung. Betroffen von der aktuellen Hilfeverweigerung durch die ZAA sind auch Familien mit Kleinkindern und Babys sowie Schwangere.
Die ZAA verweist auf die Notübernachtungseinrichtung in der Franklinstraße, die jedoch als niedrigschwelliges Hilfeangebot für Wohnsitzlose weder zuständig ist noch die nötigen Kapazitäten zur Asylaufnahme hat und Familien mit Kindern auch nicht angemessen aufnehmen kann.[2]
Das LAGeSo begründet die neuerdings praktizierte Leistungsverweigerung damit, dass nach Asylgesuch bei der ZAA erst noch eine Vorsprache beim Asylbundesamt BAMF nötig sei. Termine zur Vorsprache und Registrierung des Asylfolgeantrags beim BAMF werden jedoch erst etwa 14 Tage später vergeben.
Verfassungsrechtlich darf es jedoch von der Stellung (Asylgesuch bei ZAA) bis zur Registrierung eines Asyl(folge)antrags durch das BAMF beim Existenzminimum keine Lücke bzw. Wartefrist mit Obdachlosigkeit usw. geben. Nora Brezger vom Flüchtlingsrat dazu: „Es scheint ein abgekartetes Spiel zwischen LAGeSo und BAMF zu sein, eine ganz miese Form der Zuständigkeitstrickserei zwischen den beiden Behörden, um Schutz suchende Flüchtlinge auf kaltem Weg an Recht und Gesetz vorbei jede Hilfe zu verweigern, sie abzuschrecken und loszuwerden.“
Am Mittwoch 28.08. befanden sich ca. 10-15 obdachlose asylsuchende Familien und Einzelpersonen vor der Asylaufnahmestelle Turmstraße, die nach Asylantragstellung weder einen Schlafplatz noch medizinische Versorgung oder Verpflegung erhalten hatten, darunter kranke Kinder. Ihnen wurde bei der ZAA erklärt, sie würden bis zum Anhörungstermin beim Asylbundesamt BAMF am 4.9. bzw. 5.9. in die Obdachlosigkeit entlassen und erhielten bis dahin weder Sozialleistungen noch eine Unterkunft. Ähnlich war die Situation am Donnerstag. Nach Aussagen von Mitarbeiter/innen aus Beratungsstellen und der Asylaufnahmestelle Motardstraße handelt es sich noch um weit mehr Fälle.
Der Flüchtlingsrat Berlin fordert die sofortige Beendung der gegen Grund- und Menschenrechte verstoßenden rechtswidrigen Praxis des LAGeSo, asylsuchenden Familien und Einzelpersonen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vorzuenthalten (vgl. dazu auch das AsylbLG-Urteil des Bundesverfassungsgerichts v. 18.07.2012).[3] Nach dem Polizeirecht (ASOG) ist der Nachweis einer Unterkunft zur Abwendung der Obdachlosigkeit ebenso zwingend wie dies nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bei fehlenden eigenen Mitteln auch die Kostenübernahme für die zugewiesene Unterkunft durch die Sozialbehörde ist.
Das aktuelle Vorgehen der Mitarbeiter/innen der ZAA stellt ein temporäres Außerkraftsetzen von Grund- und Menschenrechten und einen Angriff auf das Asylgrundrecht dar. Damit verstößt die Sozialbehörde klar gegen ihre Kompetenzen. Solange Flüchtlinge ohne gesicherten Aufenthalts-status – egal ob als Asylantragsteller, Folgeantragsteller, Geduldete, abgelehnte Asylsuchende, vollziehbar Ausreisepflichtige oder auch ganz ohne ausländerbehördlich registrierten Status – sich tatsächlich (physisch) in Deutschland aufhalten, ist gemäß § 1 Abs. 1 des AsylbLG – völlig unabhängig vom jeweiligen ausländerrechtlichen Status und davon, ob nun ein Asylantrag vorliegt oder nicht – auch ihr Existenzminimum einschließlich einer Unterkunft sicherzustellen.
Soweit die vorhandenen Sammelunterkünfte voll belegt sind, müssen ggf. vorübergehend auch die Kosten für Plätze in Pensionen, Hostels oder „Ferienwohnungen“ übernommen werden. Im Übrigen müssen Land und LAGeSo statt der aktuell praktizierten Abschreckungspolitik durch immer neue Sammellager und neuerdings Aussetzen in die Obdachlosigkeit die Flüchtlinge bei der An-mietung von Wohnungen sehr viel ernsthafter als bisher unterstützen, z.B. durch die Ausgabe verbindlicher Mietübernahmeerklärungen und Wohnberechtigungsscheine.[4]
Berlin, den 30. August 2013
Ansprechpartnerinnen für die Presse:
Büro Flüchtlingsrat Berlin, Almaz Haile / Nora Brezger / Mirjam Lewek: Tel 030 243445762
Rechtsanwältin Berencie Böhlo: Tel 030 44679224
———-
[1] § 1 Asylbewerberleistungsgesetz:
„Leistungsberechtigt nach diesem Gesetz sind Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die 1. eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz besitzen, … 4. eine Duldung … besitzen, 5. vollziehbar ausreisepflichtig sind, … 6. Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder .. sind, …. oder 7. einen Folgeantrag nach § 71 des Asylverfahrensgesetzes … stellen.“
[2] Zu den Nutzern der etwa 70 Schlafplätze in der einzigen im Sommer geöffneten Berliner Notübernachtung für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten (§ 67 SGB XII) gehören u.a. Wohnungslose mit Alkoholproblemen, Drogenabhängigkeit oder psychischen Erkrankungen. Der Aufenthalt ist auf die Zeit von 18 Uhr abends bis 8 Uhr früh begrenzt. Die Zuweisung durch die ZAA ist mit der Notübernachtungseinrichtung nicht abgestimmt.
[3] BVerfG 18.7.2012, 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11, www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20120718_1bvl001010.html
Rn. 120 und 121: „Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss. …Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“
[4] Dazu ausführlich PE Flüchtlingsrat v. 19.07.2013