Die AsylbLG Novelle 2015 und das BVerfG-AsylbLG Urteil 2012, Stellungnahmen, Kommentare
Die AsylbLG-Novelle 2015 – Entwurf, Wortlaut, Kommentare
Die Bundesregierung legte im September 2014 den Gesetzentwurf zur Reform des AsylbLG vor, BT-Drs. 18/2592. Linke (BT Drs 18/2736) und Grüne (BT Drs 18/2871) forderten die Abschaffung des AsylbLG. Der Entwurf soll das BVerfG-Urteil vom 18.07.2012 zur Verfassungswidrigkeit der Leistungshöhe, des Personenkreises und der Anwendungsdauer des AsylbLG umsetzen, nachdem ein erster BMAS-Entwurf vom Dezember 2012 nicht weiter verfolgt wurde.
An verfassungswidrigen Leistungskürzungen (§ 1a AsylbLG), diskriminierenden Sachleistungen (§§ 1a und 3 AsylbLG) und der lebensgefährlichen Minimalmedizin (§§ 4 und 6 AsylbLG, Beispiele hier, hier und hier) hält die AsylbLG-Novelle fest. Sie wurde vom Bundestag (Protokoll 6.11.14 TOP 8) und am 28.11.2014 überraschend auch vom Bundesrat bestätigt.
Aufgrund des „Asylkompromisses“ im Bundesrat am 19.09.2014 sieht ein weiteres Gesetz, das sog. „Rechtstellungsverbesserungsgesetz“, die weitgehende Aufhebung des Sachleistungsvorrangs nach § 3 AsylbLG vor. Der Gesetzentwurf (BT-Drs 18-3144) wurde mit den Änderungen des Innenausschusses (BT-Drs 18-3444) vom Bundestag und Bundesrat bestätigt.
Die Änderungen des AsylbLG durch beide Gesetze sind seit 1. März 2015 in Kraft:
- Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes, BGBl 18.12.2014, in Kraft ab 1.3.2015
- Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern, BGBl 31.12.2014, regelt Aufhebung Residenzpflicht ab 01.01.2015 sowie (weitere) Änderungen des § 3 AsylbLG ab 1.3.2015
Die Zustimmung von SPD und Grünen zur AsylbLG-Novelle im Bundesrat
SPD und Grüne haben am 28.11.14 dem Fortbestand des AsylbLG und der Minimalmedizin zugestimmt. Dabei hatte der Bundesrat noch am 10.10.2014 auf Initiative Hamburgs eine Änderung des § 4 AsylbLG vorgeschlagen, um Krankenversichertenkarten nach § 264 Abs. 2 SGB V und grundsätzlich den gleichen Behandlungsumfang wie für gesetzlich Versicherte zu gewähren (BR Drs. 392/2/14 (neu) v. 10.10.14). Einschränkungen bei der Krankenbehandlung sollten nur per Rechtsverordnung des BMAS möglich sein.
Der Bundesratsausschuss für Arbeit und Soziales empfahl dem Bundesrat noch am 17.11.14 die Ablehnung der AsylbLG-Novelle und forderte: Personen mit Aufenthaltserlaubnis sollten nicht mehr unter das AsylbLG fallen, Asylbewerber und Geduldete sollten nach 12 Monaten direkt ins SGB II/XII integriert werden, und die Krankenbehandlung sollte nach § 264 Absatz 2 SGB V auf die Krankenkassen übertragen werden (BR-Drs. 513/1/14 v. 17.11.14).
Die Bundesregierung erkaufte sich die dennoch am 28.11.14 erfolgte Zustimmung des Bundesrates zur unveränderten AsylbLG-Novelle erst am Vortag durch Finanzzusagen an die Länder. Auch alle Länder mit grüner Regierungsbeteiligung stimmten überraschend für die AsylbLG-Novelle, allein Brandenburg (rot-rote Koalition) enthielt sich. Die Grünen rechtfertigten in einer Pressemitteilung ihre Zustimmung zur AsylbLG-Novelle, indem sie wahrheitswidrig behaupteten, dass sie im Bundesrat wichtige Verbesserungen für Flüchtlinge in den Kommunen durchgesetzt hätten: „In Zukunft könnten Flüchtlinge in Deutschland die Gesundheitskarte bekommen, die bisher nur unzureichend medizinisch versorgt werden konnten.“
Dabei kann die Gesundheitsversorgung nach § 264 Abs. 1 SGB V schon bisher an eine Krankenkasse übertragen und über eine Gesundheitskarte abgewickelt werden kann, Hamburg und Bremen praktizieren dies seit 2005 bzw 2012. Tatsache ist, dass die vom Bundesrat mit Hilfe der Grünen verabschiedete Fassung der AsylbLG-Novelle unverändert nur die Minimalmedizin der §§ 4 und 6 AsylbLG vorsieht. Die aufgrund der Mehrheiten im Bundesrat bestehende reale Chance, eine menschenrechtskonforme medizinische Versorgung für Flüchtlinge einzuführen, wurde vertan.
PE Pro Asyl vom 28.11.2014: AsylbLG: Milliarden-Deal auf Kosten der Gesundheit von Flüchtlingen
TAZ vom 05.12.2014: Grüne Asylpolitik auf Kompromisskurs – Die Stille nach dem Beschluss
Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales am 3.11.2014
Bericht hib „Heute im Bundestag“, Dokumentation der Anhörung im Bundestags-TV
Stellungnahmen aller Experten/innen
Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfahl dem Bundestag, das Gesetz unverändert zu verabschieden (BT-Drs 18/3073 v. 5.11.2014). In der Beschlussempfehlung heißt es: „Die Fraktion der SPD verwies mit Stolz darauf, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nunmehr umgesetzt würden – und das in einem guten Gesetz.„
Stellungnahmen Flüchtlingsrat Berlin
Stellungnahme Flüchtlingsrat Berlin, Okt. 2014
Zum Reformbedarf des verfassungswidrigen AsylbLG vgl. bereits ausführlich:
Flüchtlingsrat Berlin, Stellungnahme zum Entwurf des BMAS, Januar 2013
Classen, Das AsylbLG und das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, Februar 2012
Weitere Stellungnahmen
August 2014
Thesen Flüchtlingsrat Berlin (1 Seite pdf)
PE Landesregierung Rheinland Pfalz 27.08.2014
PE Caritas 27.08.2014: AsylbLG endlich abschaffen!
Juni 2014
Die Stellungnahmen beziehen sich auf den BMAS Entwurf vom Juni 2014, die Kritik trifft jedoch bis auf drei Änderungen (teilweise Einbeziehung § 25 V AufenthG, Mindestbezugsdauer 15 Monate, Herausnahme § 25 IVa und IVb AufenthG) auch auf den Regierungsentwurf vom 27.08.2014 zu.
Stellungnahme Flüchtlingsrat Berlin (58 Seiten, pdf)
PRO ASYL
Deutscher Anwaltsverein – DAV
Deutsches Institut für Menschenrechte
Evangelische Kirche und Katholisches Büro – EKD und DBK
Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. – VDJ
Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel – KOK e.V.
Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege – BAGFW
Bundesärztekammer
Deutsche Krankenhausgesellschaft (nur zu §§ 6a/6b AsylbLG neu)
GKV-Spitzenverband (nur zu § 264 Abs. 2 ff SGB V)
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung – IPPNW e.V. (zum Zugang zu medizinischer Versorgung)
Deutscher Städtetag, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städte- und Gemeindebund
dpw: Reform der Leistungen für Asylbewerber: Paritätischer kritisiert Regierungspläne als inhuman und verfassungswidrig, 20.06.2014
Das Urteil des BVerfG zum AsylbLG vom 18.07.2012
Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Urteil vom 18.07.2012 Leistungshöhe, Anwendungsdauer und Personenkreis des AsylbLG für verfassungswidrig erklärt.
Die Geldleistungen nach § 3 AsylbLG seien evident unzureichend, weil sie seit 1993 nicht erhöht worden sind. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiere ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Art. 1 Abs. 1 GG begründe diesen Anspruch als Menschenrecht. Er umfasse sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht stehe deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu (Leitsätze 1 und 2).
Falls der Gesetzgeber bei der Bemessung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen wolle, dürfe er nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung sei nur möglich, sofern der Bedarf von dem anderer Bedürftiger signifikant abweiche und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden könne (Leitsatz 3).
Art. 1 Abs 1 iVm Art. 20 Abs. 1 GG verlange, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss.
Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde sei migrationspolitisch nicht zu relativieren (Rn 120 f.).
Das BVerfG hat den Gesetzgeber aufgefordert, „unverzüglich“ eine verfassungskonforme Neuregelung zu schaffen.
Für die Übergangszeit hat das BVerfG die Höhe der Leistungen festgesetzt, die sich seitdem an den Hartz-IV Regelbedarfen orientiert.
Weitere Infos und Kommentierungen zum BVerfG-Urteil und zur Übergangsregelung zum AsylbLG siehe hier.
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Stand 25. März 2015
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