Veröffentlicht am 09.11.2021

09.11.2021: Rechtswidrige Abschiebung eines Asylsuchenden mit psychischer Erkrankung zur Nachtzeit und in Fußfesseln

Gemeinsame Pressemitteilung vom 9. November 2021, hier als pdf


Der Flüchtlingsrat Berlin e.V., die Initiativen Be an Angel e.V., Wedding hilft e.V., Moabit hilft e.V., die Opferberatungsstelle ReachOut, Xenion – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V., die BNS-Fachstelle für traumatisierte Geflüchtete und Überlebende schwerer Gewalt im Zentrum ÜBERLEBEN, die Schwulenberatung Berlin, das Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Migrant*innen BBZ und die KuB – Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und Migrant_innen e.V. fordern die sofortige Aufklärung des Zustandekommens und der Umstände der versuchten Abschiebung des asylsuchenden Diallo T.[1] durch das Landesamt für Einwanderung und die Berliner Polizei in den Senegal. Wir fordern einen generellen Stopp der Abschiebungen von Menschen mit psychischer Erkrankung aus Berlin.

 

Seit 2018 lebt der an Schizophrenie und Epilepsie erkrankte Diallo T. in Berlin. Aktuell befindet er sich im laufenden Asylfolgeverfahren. Dennoch drang die Polizei am 19. Oktober 2021 um 2:24 Uhr in das Zimmer des Mannes ein, nachdem der Mitbewohner die Tür der gemeinsamen Wohnung geöffnet hatte.

 

Die Polizist*innen nahmen Diallo T. das Handy ab, fesselten ihn an den Füßen und brachten ihn zum Flughafen BER. Die ganze Zeit über hat die Polizei verhindert, dass der junge Mann seinen Anwalt, Bekannte oder Angehörige verständigt.

 

Am Flughafen Brüssel sollte Diallo T. umsteigen, um von dort in den Senegal abgeschoben werden. Aufgrund der offensichtlichen psychischen Probleme weigerte sich der Pilot jedoch, ihn mitzunehmen. Diallo T. wurde zurück nach Berlin gebracht, wo er zur Akutbehandlung in einer geschützten Station einer psychiatrischen Klinik behandelt wurde.

Sein gesamtes Hab und Gut befindet sich im Senegal, da es in Brüssel nicht mehr ausgeladen wurden.

 

Regelmäßig schiebt Berlins Ausländerbehörde rechtswidrig zur Nachtzeit ab, obwohl dies nur in absoluten Ausnahmefällen erlaubt wäre.[2] Auch das Eindringen in die Wohnung des Abzuschiebenden ohne Durchsuchungsbeschluss ist rechtswidrig.[3] Dass T. rechtswidrig während seines noch laufenden Asylverfahrens abgeschoben wurde, und dass er trotz seiner den Behörden bekannten schweren psychischen Krankheit abgeschoben werden sollte, macht den Fall zu einem besonders krassen Exempel der rassistischen und inhumanen Abschiebepolitik des Berliner Senats.

 

Dass ein Mensch mit schwerer psychischer Erkrankung während des laufenden Asylfolgeverfahrens abgeschoben wird, ist in mehrfacher Hinsicht skandalös“, so Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin, „ebenso die regelhafte Handyabnahme durch die Berliner Polizei und der dadurch gezielt verwehrte Zugang zu Rechtsschutz. Rechtswidrig ist auch das Eindringen in das Zimmer mitten in der Nacht und ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Der Fall zeigt erneut, dass Polizei und Ausländerbehörde in Berlin bei Abschiebungen systematisch gegen Recht und Gesetz verstoßen.“

 

Die fachärztlichen Gutachten über die Schizophrenie und Epilepsie liegen der Ausländerbehörde vor. Da Diallo T. vor dem Abschiebeversuch medikamentös gut eingestellt war, absolvierte er einen Deutschkurs, machte ein Praktikum als Mechatroniker und hatte ein Angebot für einen Ausbildungsplatz.

 

Die begleitenden Organisationen haben mehrfach bei der Ausländerbehörde mit Diallo T. vorgesprochen, um die ausgestellte Grenzübertrittsbescheinigung in eine Duldung wegen des laufenden Asylfolgeverfahrens umzuwandeln, jedoch ohne Erfolg.

 

Der Abschiebeversuch führte zu einer schweren Retraumatisierung von Dillos T. Sein Krankheitsbild hat sich erheblich verschlechtert, er traut sich nicht mehr in die eigene Wohnung – der Schutz der Privatsphäre ist für ihn nicht mehr existent. Drei Jahre Aufbau- und Integrationsarbeit wurden innerhalb einer Nacht zunichte gemacht“, so Andreas Tölke von Be an Angel e.V.

 

Wir fordern die sofortige Aufarbeitung der Geschehnisse und Rechtsverletzungen während der versuchten rechtswidrigen Abschiebung von Diallo T. Wir fordern den Verzicht auf Abschiebungen Geflüchteter mit psychischer Erkrankung durch das Land Berlin. Wir fordern ein Bleiberecht aus humanitären Gründen für Diallo T.

 

Pressekontakte:

Flüchtlingsrat Berlin, Nora Brezger, Tel. 0176 7720 9320
Be an Angel e.V., Andreas Tölke, Tel. 0171 7858 939

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[1] Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte verwenden wir ein Pseudonym

[2] Festnahmen für Abschiebungen finden in Berlin entgegen § 58 VII AufenthG und § 36 III ASOG in ca. 80 % der Fälle rechtswidrig zur Nachtzeit statt, obwohl dies nur in besonders begründeten Ausnahmefällen zulässig wäre. Als Nachtzeit gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Zeit zwischen 21 Uhr abends und 6 Uhr früh. Festnahmen für Abschiebungen erfolgten 2020 in 611 von 986 Fällen, in 2021 bis 30.6. in 406 von 516 Fällen zur Nachtzeit, vgl. Aghs. Drs. 18/24586 und 18/28238.

[3] VG Berlin 10 K 383/19, U.v. 28.09.2021, www.fluechtlingsrat-berlin.de/vg_berlin_abschiebung_rammbock_privatsphaere,





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