Veröffentlicht am 28.09.2021

28.09.2021: Stoppt die Abschiebungen von besonders schutzbedürftigen behinderten Menschen aus Berlin!

Gemeinsame Pressemitteilung vom Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige geflüchtete Menschen BNS, dem Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen e.V. BZSL, XENION – Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V. und dem Flüchtlingsrat Berlin e.V.

 


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Raheel A. aus Pakistan lebt seit über 7 Jahren in Berlin. Er ist aufgrund psychischer und kognitiver Beeinträchtigung sowie durch eine schwere Epilepsie mit einem GdB von 70% als schwerbehindert anerkannt. Herr A. ist auf Medikamente angewiesen, dennoch kommt es zu schweren Anfällen mit Verletzungen. Fachärztlich wurde bereits eine rechtliche Betreuung empfohlen.

Innensenator Geisel hat jetzt, entgegen der Empfehlung der Härtefallkommission, ein humanitäres Bleiberecht abgelehnt, da die „Integrationsbemühungen“ (Arbeit, Einkommen, Deutschkenntnisse) nicht ausreichen würden. Eine Petition wurde ebenfalls abgelehnt, weil „Herr A. in absehbarer Perspektive nicht auf eigenen Beinen stehen wird“. Trotz langjährigen Aufenthaltes droht nun unmittelbar die Abschiebung.

Wir fordern den Innensenator zum Umdenken beim Bleiberecht nach der Härtefallregelung auf. Die Härtefallregelung soll gemäß § 23a AufenthG „dringende humanitäre oder persönliche“ Härten des Ausländer- und Asylrechts abfedern und nicht lediglich – wie in Berlin die eingeübte Praxis – ausschließlich besonders Qualifizierte und Integrierte und das „Survival of the Fittest“ honorieren.

Trotz seiner behinderungsbedingt schwierigen Situation absolviert Herrn A. ein Praktikum in einer geschützten Behindertenwerkstatt. Sie hat angeboten, ihn auch weiterhin zu beschäftigen, allerdings fehlt mangels Aufenthaltstitels eine Kostenübernahme der Agentur für Arbeit. Kürzlich hat Herr A. ein WG-Zimmer gefunden und konnte aus der Sammelunterkunft ausziehen. Da jedoch seine Mitbewohner Pakistani sind, spricht aber auch dies laut Senator Geisel gegen seine „Integration„.

Nach Artikel 21/22 der EU-Richtlinie 2013/33/EU (EU Asylaufnahmerichtlinie) und der UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderung ergibt sich die Verpflichtung, zeitnah die tatsächlichen Kompetenzen und Ressourcen zur Integration und den Unterstützungsbedarf Betroffener zu identifizieren und adäquat auf diese Bedarfe zu reagieren. Dies wurde bei Herr A. versäumt. Herr A. kann und möchte sich sehr gerne in dem von seiner Behinderung vorgegebenen Rahmen integrieren, braucht aber Unterstützungsmaßnahmen. Diese liegen – Jahre zu spät – nun endlich vor. Und gerade jetzt soll er abgeschoben werden.

Wir finden es anmaßend, im Rahmen des Bleiberechts nach der Härtefallregelung nach § 23a AufenthG schwerstbehinderten Menschen mangelhafte „Integrationsleistungen“ vorzuhalten“, so Lynn Klinger von Xenion e.V., “anstatt zu würdigen, dass es einem Geflüchteten trotz schwerer Behinderung gelingt, eine Wohnung und einen Praktikumsplatz zu finden. Wir stellen fest, dass das Berliner Landesamt für Einwanderung in den letzten Monaten dazu übergegangen ist, auch immer mehr jahrelang wegen Krankheit geduldete behinderte Menschen abzuschieben.

 

Auch im Fall eines Gehörlosen hatte Geisel kürzlich ablehnend reagiert und mit „fehlenden Integrationsleistungen“ argumentiert. Weitere Beispiele der zunehmend brutalen Praxis der Abschiebung kranker und behinderter Menschen aus Berlin hat der Flüchtlingsrat in einer Pressemitteilung vom April 2021 dokumentiert.[1]

Wir fordern Innensenator Geisel auf, auf Grundlage der Empfehlung der Härtefallkommission für Herrn A. dem Bleiberecht zuzustimmen. Berlin muss wieder zur ursprünglichen Intention der Härtefallregelung nach § 23a AufenthG zurück kehren und die „dringenden humanitären oder persönlichen“ Härten der antragstellenden Person in der Entscheidung berücksichtigen, statt nur die „Integrationsleistungen“ als alleiniges Kriterium zu honorieren.

 

Pressekontakte:

Xenion, Vanessa Höse, Tel: 0177 6295 142, E-Mail: vanessa.hoese@xenion.org

Flüchtlingsrat Berlin, Nora Brezger, Tel: 0176 7720 9320, E-Mail: brezger@fluechtlingsrat-berlin.de

BNS, Nicolay Büttner, Tel: 0159 0149 0397, E-Mail: n.buettner@ueberleben.org

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[1] PM vom 30.4.21: https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/pm-berliner-innensenator-ohne-gnade_30april2021.pdf





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