13.04.2022: Gebrochenes Versprechen: Berlin muss gehörlose Geflüchtete aus der Ukraine menschenwürdig aufnehmen, statt sie aus der Stadt zu vertreiben
Gemeinsame Pressemitteilung Gehörlosenverband Berlin e.V. und Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Neues Deutschland (31.03.2022): Das gebrochene Versprechen
Taz (15.04.2022): Diese Gruppe muss zusammenbleiben
Berliner Zeitung (13.04.2022): Gehörlose Geflüchtete: Behörden sollen Druck ausüben, damit sie Berlin verlassen
Pressemitteilung:
Gebrochenes Versprechen: Berlin muss gehörlose Geflüchtete aus der Ukraine menschenwürdig aufnehmen, statt sie aus der Stadt zu vertreiben
Der beschämende Umgang des Berliner Senats mit den gehörlosen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine muss ein Ende haben. Berlin muss ihren spezifischen Bedarf respektieren und auf eine Verteilung in andere Bundesländer verzichten.
Seit Anfang März lebt eine Gruppe von ca 180 gehörlosen Menschen in Berlin. Sie sind gemeinsam unter schweren Bedingungen aus der Ukraine geflüchtet, darunter viele Kinder und kranke Menschen. Die Gruppe hat schnell Anschluss gefunden an die Berliner Strukturen für gehörlose Menschen. Die Regierende Bürgermeisterin hat ihnen zugesichert, dass sie in Berlin bleiben können. Dennoch erhielten die Menschen am 31. März überraschend die Aufforderung, Berlin binnen drei Tagen zu verlassen. Weil sie dem nicht nachkamen, wurden sie in eine Unterkunft am Stadtrand mit Vollverpflegung ohne Kochmöglichkeiten gebracht und ihnen wurde die Sozialhilfe gekürzt.
„Es ist inakzeptabel, wie die Geflüchteten unter Druck gesetzt werden. Der Senat ignoriert völlig die spezifische Situation der gehörlosen Menschen. Die Gruppe ist ähnlich einer Familie in hohem Maße aufeinander angewiesen, da sie sich nur untereinander in russischer Gebärdensprache verständigen kan. Durch die intensive Unterstützung aus der Berliner Gehöhrlosencommunity konnten die zum Teil schwer traumatisierten Menschen ein Stück Sicherheit und Vertrauen zurückgewinnen. Das wurde durch den respektlosen Umgang des Senats völlig zerstört,“ so Clara Belz, Flüchtlingsbeauftragte des Gehörlosenverbandes Berlin e.V.
Ein 23jähriger aus der Gruppe ergänzt: „Bürgermeisterin Giffey hat uns versprochen, dass wir in Berlin bleiben dürfen und dann schickt Frau Kipping uns weg? Wir fühlen uns gedemütigt und getäuscht.“
„Den Geflüchteten wurden Informationen über die Möglichkeit einer Berlinzuweisung über Arbeit, Wohnung oder Angehörige ebenso vorenthalten wie über den Zugang zu medizinischer Versorgung. Es ist menschenverachtend, dass der Senat die gehörlosen Menschen mit Sachleistungen und Entzug der Sozialhilfe sanktioniert und an dieser besonders schutzbedürftigen Gruppe ein Exempel statuieren will, um sie aus der Stadt zu vertreiben,“ kommentiert Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat.
Für den heutigen Mittwoch ist ein Gespräch des LAF mit den Geflüchteten geplant. Gehörlosenverband Berlin, Flüchtlingsrat Berlin und die weiteren Unterzeichner fordern Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey, Sozialsenatorin Katja Kipping und das Landesflüchtlingsamt LAF auf
- mit adäquater Übersetzung und auf Augenhöhe mit den gehörlosen Geflüchteten zu kommunizieren,
- die Versuche zu unterlassen, die Gruppe zu trennen und ihrem Wunsch entsprechend für die gesamte Gruppe eine Berlinzuweisung auszusprechen,
- die Menschen aus der Gruppe, die noch keine private Wohnmöglichkeit gefunden haben, in einer Unterkunft mit Selbstversorgung unterzubringen, von der die Gehörlosenschule im Westend für Grundschulkinder gut erreichbar ist, und
- die spezifischen Bedarfe der Gehörlosen zu ermitteln und unverzüglich die ihnen zustehende Sozialhilfe zu gewähren und die dringend notwendige Krankenversorgung sicherzustellen.
Pressekontakt:
Clara Belz, Flüchtlingsbeauftragte Gehörlosenverband Berlin e.V., clara.belz@deafberlin.de
Georg Classen, Flüchtlingsrat Berlin, 030 22476311, buero@fluechtlingsrat-berlin.de
Unterzeichnende:
Gehörlosenverband Berlin e.V.
Deutscher Gehörlosenbund e.V.
Flüchtlingsrat Berlin e.V.
Willkommensnetzwerk „Pankow Hilft!“
Initiative Moabit Hilft e.V.
Initiative Schöneberg Hilft e.V.
Mina-Leben in Vielfalt e.V.
XENION psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e.V.
Siehe auch Stellungnahme Deutscher Gehörlosenbund vom 12.04.2022:
Klarstellung zur speziellen Situation gehörloser Geflüchteter
Hintergrund:
Der SPD-Abgeordnete Lars Düsterhöft und Berlins Regierende Franziska Giffey versprachen den Schutzsuchenden per Email in Berlin bleiben zu können: „Wir teilen Ihre Auffassung, dass die gehörlosen Geflüchteten natürlich in Berlin bleiben müssen. Hier gibt es die deutschlandweit besten Strukturen, um sich besonders um die Menschen zu kümmern. Es gibt bereits Absprachen mit SenIAS und dem LAF, dass die Menschen dauerhaft in Berlin bleiben sollen.“
Umso schockierter war die Gruppe, als sie am 31.03. von Mitarbeiter*innen des LAF aufgesucht wurde, die ihnen ohne Dolmetscher*innen verkündeten, ihre Hostels seien gekündigt und sie müssten Berlin binnen drei Tagen verlassen. Busse fuhren vor, um sie nach Köln zu bringen. Die Geflüchteten und ihre Unterstützer*innen erhielten keinerlei Zusagen was sie in Köln erwartet und ob sie in NRW weiterverteilt würden. Sie sollten in Köln vorerst in einem Hotel untergebracht werden.
Als sich die Geflüchteten weigerten, in die Bussen nach Köln einzusteigen und gegen die Verteilung demonstrierten, wurden sie von den Behördenmitarbeiter*innen unter Druck gesetzt. Ihnen wurde gedroht, in eine schlechtere Unterkunft verlegt zu werden und keine Sozialleistungen mehr zu erhalten. Schließlich wurden sie in eine Containerunterkunft mit Vollverpflegung und ohne Kochmöglichkeit an den Stadtrand verbracht
Auf Druck des LAF verweigerte das örtlich zuständige Sozialamt Pankow den Geflüchteten das Taschengeld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Erst nachdem sie zweimal einen ganze Tag lang vor dem Sozialamt ausgeharrt hatten, erhielten sie am 12. April das ihnen zustehende Bargeld.
Die Frage der Krankenversorgung bleibt ungeklärt. Unter den Geflüchteten sind mehrere schwer kranke Menschen mit tendenziell lebensbedrohlichen Diagnosen, die die unverzügliche Einleitung einer stationären Krankenbehandlung erfordern, die bisher mangels Kostenübernahme des Sozialamts nicht stattfindet.
Die Geflüchteten haben dank der Unterstützung der Flüchtlingsbeauftragten vom Gehörlosenverband Berlin (GVB) und der ehrenamtlichen Helfer*innen der Berliner Gehörlosen-Community Schulplätze für die gehörlosen und hörenden Kinder gefunden. Die Gehörlosenschule im Westend richtet Willkommensklassen für die Kinder aus der Gruppe ein. Einige aus der Gruppe haben in Berlin und Potsdam Wohnung und/oder Arbeit gefunden, weitere haben konkrete Arbeits- und Wohnungsangebote.