22.07.2019: Security in Berliner Flüchtlingsunterkunft weigert sich, Rettungswagen zu rufen
– Geflüchtete Frau verliert ihr Kind im 9. Schwangerschaftsmonat –
Die jungen Eheleute H. leben in einer vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) beauftragten Sammelunterkunft für Geflüchtete. Frau H. war im 9. Monat schwanger, als sie in der Nacht vom 22. auf den 23. Juni plötzlich starke Schmerzen und starke Blutungen bekam.
Ihr Mann bat gegen 4 Uhr früh den diensthabenden Security-Mitarbeiter der Unterkunft, für seine hochschwangere Frau einen Rettungswagen zu rufen. Dieser weigerte sich mit der Begründung, es sei Sonntagnacht, da könne man nicht die Feuerwehr rufen. Er war auch nicht bereit ein Taxi zu rufen, da das Krankenhaus nur wenige hundert Meter entfernt sei.
Die Eheleute sind erst seit zwei Monaten in Berlin. Sie sprechen kein Deutsch und konnten nicht selbst den Rettungsdienst rufen. Sie erhielten von der Security nur die Adresse des gut drei km entfernten nächsten Krankenhauses mit Geburtshilfeabteilung, das sie schließlich zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufsuchen mussten.
Im Krankenhaus entband Frau H. ein toten Jungen, Normalgewicht, Todesursache akute Plazentainsuffizienz. Bei dieser Diagnose besteht Lebensgefahr für das Ungeborene. Es ist davon auszugehen, dass das Kind am frühen Morgen noch gelebt hat.
Die Eheleute sind anwaltlich vertreten. Nach Aussage der Ärztin, die dem Ehepaar H. den Obduktionsbericht erläuterte, sei es sei nicht auszuschließen, dass bei einem früheren Eintreffen im Krankenhaus das Baby möglicherweise hätte gerettet werden können. Die Eheleute müssen nun die Bestattung ihres toten Babys organisieren. Sie sind von der Situation schwer traumatisiert und emotional komplett überfordert.
Dass der Wachschutz in Geflüchteten-Unterkünften sich weigert, die Feuerwehr bzw. Rettungsdienste zu rufen und Geflüchtete deshalb schwerste Gesundheitsschäden oder sogar den Tod erleiden, ist leider kein Einzelfall. Teilweise machen Rettungsdienste ihre Einsätze in Flüchtlingsunterkünften sogar davon abhängig, dass Security oder Heimleitung die Notwendigkeit des Rettungseinsatzes bestätigen, wenn Geflüchtete selbst den Rettungsdienst rufen.[1]
Anfang 2014 führte der Flüchtlingsrat Berlin aus Anlass eines solchen Todesfalles im sächsischen Plauen[2]eine Umfrage in Berlin durch. Wir haben damals eine Reihe von Fällen dokumentiert, in denen der Wachschutz auch in Berliner Unterkünften sich weigerte, den Rettungsdienst zu rufen.[3]
Wir hatten damals die Senatsverwaltung für Soziales und das LaGeSo um Klarstellung gebeten, dass MitarbeiterInnen und Security in Sammelunterkünften in keinem Fall die Hilfe bei der Benachrichtigung von Rettungsdiensten ablehnen dürfen.[4]Leider enthalten die Qualitätsrichtlinien des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten LAF für die Security in Sammelunterkünften insoweit jedoch bis heute keine klaren Vorgaben.[5]
„Es kann nicht sein, dass Geflüchtete, die sich in einer akuten gesundheitlichen Notlage und möglicherweise sogar in Lebensgefahr befinden, hilflos der Entscheidung von Security und/oder anderen nicht medizinisch qualifizierten Mitarbeitenden ausgeliefert sind, ob ein Rettungsdienst zu rufen ist. Diese haben weder die Aufgabe noch die medizinische Kompetenz, solche Entscheidungen zu treffen“, so Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin. „Wir fordern Sozialsenatorin Breitenbach und das LAF auf, Heimbetreiber und Securityfirmen anzuweisen, im Zweifel immer den Rettungsdienst zu rufen, wenn Flüchtlinge darum bitten.“
Der Flüchtlingsrat fordert Sozialsenatorin Breitenbach und das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) auf, eine lückenlose Aufklärung des aktuellen Vorfalls zu veranlassen. Das Land Berlin muss jede erdenkliche humanitäre und soziale Unterstützung für das schwer traumatisierte asylsuchende Ehepaar H. zu gewähren.
Wir fordern das LAF auf, die vertraglichen Maßgaben für Heimbetreiber und Securityfirmen entsprechend anzupassen und die Mitarbeitenden anzuweisen, im Zweifel immer einen Rettungsdienst zu rufen, wenn Flüchtlinge darum bitten.
Pressekontakt:
Flüchtlingsrat Berlin Büro 030-22476311, buero@fluechtlingsrat-berlin.de
[1]Vgl. Flüchtlingsrat Berlin, Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag, Juni 2016, Fallbeispiele auf Seiten 13 und 14
https://fluechtlingsrat-berlin.de/wp-content/uploads/Classen_AsylbLG_Gesundheit_08Juni2016.pdf
[2]PRO ASYL 18.02.2014, https://www.proasyl.de/news/unterlassene-hilfeleistung-fluechtling-stirbt-in-unterkunft/, vgl auch Die Zeit, 16.4.2015 zum Beinahe-Tod des Babys Leonardo P. in der Asylaufnahmestelle Zirndorf bei Nürnberg https://www.zeit.de/2015/16/asylpolitik-fluechtlinge
[3]Flüchtlingsrat Berlin, Verweigerte medizinische Hilfe für Asylsuchende in Berlin, Februar 2014 www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/Verweigerte_Rettungsdienste_und_Wachschutz_Berlin.pdf
[4]Email Flüchtlingsrat an LAGeSo und SenGS v. 18.02.2014 https://fluechtlingsrat-berlin.de/email_lageso_sengs_wgwachschutz_verweigert_rettungsdienst/
[5]Vgl. LAF Berlin,Leistungs- und Qualitätsbeschreibung zum Sicherheitsdienstleistungsvertrag Flüchtlingsunterbringung, März 2018, dort Nr. 2 „Aufgaben im Rahmen der Sicherheitsdienstleistungen“ https://fluechtlingsrat-berlin.de/laf_leistungs-und_qualitaetsbeschreibung_sicherheit/