Veröffentlicht am 20.11.2008

Flüchtlingsschutz gewähren – Jugendhilfe garantieren!

Presseerklärung des Flüchtlingsrats Berlin, 20.11.2008

Symposium zur Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Berlin, 20./21. November 2008


Am 20. November 1989 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die UN-Kinderrechtskonvention. Dieser Jahrestag bildet den Rahmen für ein Symposium, zu dem der Arbeitskreis „Junge Flüchtlinge“ des Berliner Flüchtlingsrates Behördenvertreter/innen, Fachleute aus Beratungsstellen und Jugendhilfeeinrichtungen, Anwälte/innen und Lehrer/innen eingeladen hat.

Das Symposium soll dazu beitragen, gemeinsame Standards für die Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu entwickeln und die Berliner Jugendhilfemaßnahmen für Flüchtlinge zu verbessern.

Aus Sicht des Flüchtlingsrates ist dabei das Hauptaugenmerk auf das Spannungsfeld zu legen, das zwischen der gesetzlichen Verpflichtung zur kindgerechten Aufnahme (Pflicht zur „Inobhutnahme“ durch das Jugendamt sowie Einsetzen einer Vormundschaft bis zum 18. Lebensjahr) und den ausländerrechtlichen Bestimmungen existiert. Minderjährige Flüchtlinge sind hiernach bereits ab einem Alter von 16 Jahren asylverfahrensfähig und unterliegen einer bundesweiten Umverteilung“, an das sich die Residenzpflicht am Zuweisungsort anschließt. Folge ist die Trennung von Unterstützern und Angehörigen und ggf. auch vom Vormund am zunächst gewählten Fluchtort.

Der Flüchtlingsrat kritisiert insbesondere, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Berlin nach ihrer Ankunft sich umfangreichen polizeilichen Kontrollmaßnahmen unterziehen müssen, die nichts mit einer kindgerechten Behandlung zu tun haben. Dem Flüchtlingsrat liegen Berichte von Jugendlichen vor, die in Handschellen von der Ausländerbehörde zum Polizeigewahrsam transportiert und dort stundenlang festgehalten wurden. Eine Entlassung erfolgte in der Regel erst in den frühen Morgenstunden. Diese Praxis ist völlig unverhältnismäßig . widerspricht dem Wohl des Kindes. Sie ist daher einzustellen. Im Aufnahme- und Clearingverfahren sollte das Wohl des Kindes oberste Priorität genießen. Im Interesse der minderjährigen Flüchtlinge wäre es, wenn zumindest für eine Übergangszeit eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt würde. So könnten Alternativen zum derzeit in der Regel sofort eingeleiteten Asylverfahren geprüft werden. Da Jugendliche meist wenig Chancen auf eine Asylanerkennung besitzen, kann die daraus folgende „offensichtlich unbegründete“ Ablehnung zu einem späteren Ausschluss vom Erwerb eines anderen Aufenthaltsrechts führen.

Im Rahmen des Clearingverfahrens vorgenommene Alterseinschätzungen bzw. Heraufsetzungen des angegebenen Alters der Betroffenen führen zur sofortigen Entlassung aus der Clearingstelle und zur Zuweisung in eine Erstaufnahmeeinrichtung für (erwachsene) Asylbewerber. Der Flüchtlingsrat fordert in diesem Zusammenhang, dass anhängige Rechtsmittel gegen die Altersfeststellungen zum weiteren Verbleib in der Clearingstelle berechtigen.

Altersfeststellungen nach Augenschein, aber auch die entwürdigenden und medizinisch zweifelhaften Methoden wie das Zwangsröntgen und die Anfertigung von Ganzkörper- Nacktfotos durch die Charité Berlin können nicht zu zweifelsfreien Ergebnissen führen. Im Interesse einer kindgerechten Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ist die sofortige Bestellung eines Einzelvormundes notwendig, der sich individuell um die Belange seines Mündels sorgen kann. Ihm ist nach dem Gesetz der Vorrang vor Amtsvormündern einzuräumen, die in Berlin regelmäßig bestellt und nur in Einzelfällen später durch Einzelvormünder ersetzt werden. Dieses Prozedere hat nicht nur negative Auswirkungen auf die zukünftigen Lebensentwürfe der minderjährigen Flüchtlinge, da Weichen häufig frühzeitig gestellt werden, sondern behindert auch das Engagement vieler Berlinerinnen und Berliner, die sich zur Übernahme einer Vormundschaft bereit erklärt haben.

Der Flüchtlingsrat hat zum Clearingverfahren ein Konzept vorgelegt, dass diesen Erfordernissen Rechnung trägt und auch die Möglichkeit von Vereinsvormundschaften vorsieht.

Minderjährige Flüchtlinge sollten wie ihre (deutschen) Altersgenossen eine Perspektive auf Ausbildung und Studium besitzen. Sie sollten nicht per se in eine Hauptschule untergebracht werden. Ungeachtet bestehender ausländerrechtlicher Begrenzungen können auch geduldete Jugendliche nach einer vierjährigen Aufenthaltsdauer eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis erhalten. Davon sollte in der Regel Gebrauch gemacht werden. Gleiches gilt für eine Ausnahmevorschrift, die für traumatisierte Flüchtlinge eine arbeitsmarktunabhängige Arbeitserlaubnis vorsieht.

Der Berliner Senat hat sich für die Aufgabe des nach wie vor bestehenden deutschen Vorbehaltes gegenüber der Anwendung der UN-Kinderrechtskonvention auf die hier lebenden ausländische Kinder und Jugendliche eingesetzt. Ungeachtet dessen bestehen auch auf Landesebene Möglichkeiten zur Gestaltung kindgerechter Aufnahmebedingungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Der Flüchtlingsrat Berlin ist bereit, dazu mit der Senatsverwaltung und dem Landesjugendamt weiter das Gespräch zu führen und hofft auf Impulse, die im Interesse der betroffenen jungen Flüchtlinge vom Symposium ausgehen können.

Flüchtlingsrat Berlin
Berlin, 20. November 2008





Nach oben scrollen