Zum Integrationskonzept des Senates
Presseerklärung vom 21.06.07
Flüchtlingsrat fordert Verbindlichkeit statt leerer Worte
Am 22. Juni 2007 findet im Berliner Rathaus ein „Integrationsgipfel“ statt, auf dem das neue Integrationskonzept des Berliner Senates vorgelegt wird. Mit diesem Konzept wird sich ein Vertreter des Flüchtlingsrates Berlin in einem Redebeitrag kritisch auseinandersetzen.
Es ist zu begrüßen, dass sich das Integrationskonzept auch mit der Situation von Flüchtlingen befasst. Der Flüchtlingsrat teilt die Integrationsdefinition des Senates, die insbesondere auf Chancengleichheit und gleichberechtigte Teilhabe von Flüchtlingen und Migranten am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zielt.
Ein solches Integrationskonzept müsste aber die angestrebten Ergebnisse und die zur Umsetzung nötigen Schritte konkret benennen. Daran mangelt es dem vorgelegten Papier, das in fast allen Bereichen bei unverbindlichen Absichtserklärungen stehen bleibt.
Beispiel 1 – Ohne Bleiberecht keine Integration
Die entscheidende Basis für eine Integrationsperspektive ist für Flüchtlinge ein sicherer Aufenthaltsstatus. Das Integrationskonzept verweist zutreffend auf die Notwendigkeit von Bleiberechtsregelungen für die Integration langjährig geduldeter oder asylsuchender Flüchtlinge.
Die konkrete Umsetzung des Bleiberechts-Beschlusses der Innenministerkonferenz (IMK) vom November 2006 durch die Berliner Ausländerbehörde scheint jedoch das Gegenteil zum Ziel zu haben. Ein halbes Jahr nach dem IMK-Beschluss haben nur 142 Flüchtlinge eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Von 3.108 Anträgen wurden bereits 302 abgelehnt, und die große Mehrzahl überhaupt nicht bearbeitet (Stand 31.03.07, neuere Zahlen waren bis heute nicht zu erhalten).
Die Gründe liegen vor allem in einer extrem restriktiven Auslegung und Umsetzung durch die Berliner Ausländerbehörde. So wurde die Antragsfrist für das Bleiberecht rückwirkend (und rechtswidrig) vom 01.10.07 auf den 18.05.07 verkürzt. Von den Botschaften der Herkunftsländer zu verantwortende Probleme der Passbeschaffung werden zu Lasten der Betroffenen ausgelegt. Unterstellte „Identitätstäuschungen“ in Fällen doppelter Staatsangehörigkeit und oft ohne Wissen der Betroffenen vorgenommener Zwangstürkisierung libanesischer Flüchtlinge führen zusammen mit einer fragwürdigen „Sippenhaftung“ zum Ausschluss ganzer Familien vom Bleiberecht. Der öffentlich bekannte Fall von Nasima El-Zein ist dafür nur ein Beispiel.
Der Flüchtlingsrat Berlin hofft trotz dieser Erfahrungen auf eine großzügige Umsetzung des jetzt vom Bundestag beschlossenen gesetzlichen Bleiberechts. Dafür muss die Berliner Politik der Ausländerbehörde allerdings verbindliche Vorgaben machen – und nicht umgekehrt, wie es derzeit der Fall zu sein scheint. So muss – wie auch vom Repräsentanten des UNHCR in Deutschland gefordert – eine humanitäre Umsetzung der Regelung auch für alte, kranke und erwerbsunfähige Menschen möglich werden. Diesen ist nach den bisherigen Anwendungshinweisen der Ausländerbehörde der Zugang zum Bleiberecht faktisch verschlossen. Ein Bleiberecht erhält bisher nur, wer vermögende Angehörige hat, die sich zur Übernahme aller Kosten inkl. der medizinischen Versorgung (eine Krankenversicherung ist für alte und kranke Migranten nicht abschließbar) verpflichten. Das von der Ausländerbehörde hierzu geforderte Einkommen des Angehörigen liegt bei mindestens 3000 €/Monat – und zwar netto!
Beispiel 2 – Die Berliner Ausländerbehörde – das größte Integrationshindernis
Für eine erfolgreiche Integrationspolitik reicht es nicht aus, die „Willkommenskultur“ der Ausländerbehörde auf Neuzuwanderer zu beschränken. Beim Umgang mit geduldeten und asylsuchenden Flüchtlingen muss die Ausländerbehörde zuerst ihre eigenen Integrationsdefizite abbauen.
Der erschreckende Umgang mit den vorsprechenden Ausländern vor allem in der für Flüchtlinge zuständigen Dienststelle am Nöldnerplatz oder in der Türkei-Abteilung am Friedrich-Krause-Ufer, aber auch die Ergebnisse der Umsetzung der Bleiberechtsregelung zeigen, dass die innere Haltung der Mehrzahl der Behördenmitarbeiter in erster Linie auf Abwehr, Aufenthaltbeendung und Abschiebung zielt. Hier sind klare politische Vorgaben und grundlegende strukturelle und personelle Änderungen zwingend erforderlich.
Beispiel 3 – Die Berliner Jobcenter entziehen jungen Flüchtlinge und Migranten die Lebensgrundlage, weil sie eine Ausbildung aufnehmen
Integration bedeutet für junge Flüchtlinge und Migranten vor allem den Zugang zu Bildung, Ausbildung und Studium. Die Betroffenen fallen in der Praxis jedoch immer wieder in eine Förderungslücke, da sie als Migranten nicht die Anspruchsvoraussetzungen des BAföG bzw. der Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) erfüllen, aber dennoch unter Verweis auf diese rein fiktiven Leistungen auch von der Sozialhilfe und vom ALG II ausgeschlossen werden. Bei Aufnahme einer Ausbildung werden den betroffenen Migranten und Flüchtlingen sämtliche Existenzmittel entzogen.
Der Flüchtlingsrat engagiert sich seit Jahren für eine entsprechende Novellierung des BAföG und des SGB III. Diese Bemühungen sind nunmehr teilweise erfolgreich. Die geplanten Gesetzesänderungen sollen nach den Plänen der Bundesregierung jedoch erst zum Herbst 2008 in Kraft treten.
Wir fordern den Berliner Senat auf
- sich beim Bund für ein sofortiges Gesetzgebungsverfahren einzusetzen, um ein umgehendes Inkrafttreten der verbesserten Förderungsmöglichkeiten für MigrantInnen zu ermöglichen, statt die Änderung bis Herbst 2008 aufzuschieben, und
- bis zum Inkrafttreten der Neuregelung mit Hilfe verbindlicher rechtlicher Vorgaben zur Anwendung der Härtefallreglung beim ALG II dafür zu sorgen, dass die Berliner Jobcenter Leistungen an Migranten auch dann erbringen, wenn sie eine Ausbildung oder ein Studium aufnehmen und keine Leistungen des BAföG und der BAB erhalten können.
Niemand darf von den Jobcentern durch Leistungsentzug zum Nichtstun und dazu gezwungen werden, seine Ausbildung abzubrechen.
Beispiel 4 – Aufnahme von Flüchtlingen statt Abschottung
Aus Anlass des Weltflüchtlingstages ist das im Integrationskonzept enthaltene Bekenntnis zur Aufnahme von Flüchtlingen direkt aus dem Ausland (auch aus einem Drittstaat) zu begrüßen. Dafür sind die gesetzlichen Voraussetzungen bereits vorhanden (§§ 22 und 23 Abs. 3 AufenthG). Berlin muss daher konkrete Schritte zu deren praktischer Anwendung vorlegen. Der im Integrationskonzept enthaltene Verweis auf eine Einigung auf EU-Ebene ist rechtlich keineswegs zwingend und lässt eine praktische Umsetzung in unrealistische Ferne schwinden.
Angesichts sinkender Asylbewerberzahlen dürfen die Kapazitäten der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Spandau nicht zur Unterbringung geduldeter Flüchtlinge unter bewusst eingeschränkten Lebensbedingungen diesen. Die Erstaufnahmeeinrichtung darf nicht zum faktischen Ausreisezentrum werden. Vielmehr muss im Interesse der Integration eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen erfolgen.
Noch viel mehr Beispiele – eine Liste ganz konkreter Forderungen an den Berliner Senat
zur Integration und zum Recht auf Teilhabe von Migranten und Flüchtlingen findet sich im Forderungskatalog des Flüchtlingsrates an die Berliner Regierungskoalition und den Senat (pdf)
Flüchtlingsrat Berlin, 21. Juni 2007