17.09.2015: Umstrukturierung Asylaufnahme Berlin, geplante Asylrechtsverschärfung

Anbei einige Infos vom gestrigen runden Tisch “Versorgung und Unterbringung von Asylsuchenden”, auch aus der Verwaltung am Rande aus der gestrigen Runde.


Liebe KollegInnen,

der Flüchtlingsrat hatte zum gestrigen runden Tisch “Versorgung und Unterbringung von Asylsuchenden” mit dem Regierenden Bürgermeister Müller eine Tischvorlage mit Forderungen an die Verwaltung vorgelegt:

Rechtskonforme Asylaufnahmeverfahren sicherstellen!

Anbei einige Infos aus der Runde, auch aus der Verwaltung am Rande aus der gestrigen Runde.

Die Zentrale Asylaufnahmestelle beim LAGeSo Berlin ZAA Turmstr und die Asylstelle des BAMF Spandau ziehen um in die ex-Landesbankzentrale Bundesallee 171 in Wilmersdorf. Eine Unterkunft sei dort nicht geplant.

Die Zentrale Leistungsstelle für Asylbewerber beim LAGeSo Berlin ZLA bleibt in der Turmstr., möglicherweise ziehen die mit den Asylsuchenden befassten Teile der Ausländerbehörde dort mit ein. Die nicht mit Asyl befassten Teilbereiche des LAGeSo ziehen kurzfristig ins Rathaus Wilmersdorf und späten an einen geplanten neuen Behördenstandort für diesen Teil des LAGeSo.

Im Gebäude des ehemaligen Abschiebeknastes der Polizei in der Kruppstr. in Moabit (sonst als Gefangenensammelstelle für „polizeiliche Großlagen“ genutzt) wurde eine neue Registrierstrecke eingerichtet, die künftig 24 Std/7 Tage Woche arbeiten soll und auch die mit Zügen nach Berlin zugewiesene Flüchtlinge registrieren soll. Auch Bayern registriere inzwischen 24 Std/7 Tage, schon wg der EASY-Zuweisungen müsse Berlin das jetzt auch tun.

Am Rande des Runden Tisches konnten wir aus der Sozialverwaltung erfahren, dass in der neuen Registrierstelle an ihrem ersten Arbeitstag am Dienstag dieser Woche neun neue zum LAGeSo abgestellte Mitarbeiter anderer Verwaltungen zusammen mit einem sie anleitenden Mitarbeiter des LAGeSo an ihrem ersten Arbeitstag gestern bereits 100 Asylsuchende – anders als derzeit am LAGeSo üblich – vollständig registriert hätten und die Asylgesuche aufgenommen hätten, d.h. ED-Behandlung, Ausstellung BüMA mit Vergabe eines Termins beim BAMF, Ausstellung von Krankenscheinen, Zuweisung eines Platzes in einer Gemeinschaftsunterkunft sowie Bescheid über Taschengeld, dessen Auszahlung dann an der LAGeSo-Kasse in der Turmstr. erfolgt sei.

Offenbar erfolgte in der Kruppstr. die ED Behandlung durch die Polizei, die generell Strafanzeigen wegen illegaler Einreise fertige. Sozial- und Innenverwaltung seien sich aber einig, dass diese Anzeigen unsinnig seien. Dazu ist anzumerken, dass dies auch gegen Art. 31 GFK verstößt, wonach die illegale Einreise Asylsuchender nicht bestraft werden darf.

Bei einem Besuch in der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau haben wir erfahren, dass auch dort die Polizei (die direkt gegenüber eine große Dienststelle hat) in die mobilen LAGeSo-Registrierungen involviert ist. Auch dort führt die Polizei die ED-Behandlungen durch und fertigt Strafanzeigen wg illegaler Einreise.

Wenn die Angaben zur neuen Registrierstelle zutreffen, müssten 50 routiniert eingearbeitete (daher doppelt so schnelle) Mitarbeiter 1000 Asylaufnahmen am Tag realisieren können. Soviele mindestens dürften real in der ZAA am LAGeSo schon längst zu Verfügung stehen. Der riesige Bearbeitungsstau am LAGeSo bleibt vor diesem Hintergrund unverständlich. Allerdings müsste man die genannten Informationen noch einem Realitätscheck unterziehen. Klärungsbedürftig ist auch, wieviel Personal der Polizei und wieviele Sprachmittler über die angegeben 10 Mitarbeiter hinaus einbezogen sind.

Jedenfalls ist ein katastrophales Organisationsversagen des LAGeSo und seiner Asylaufnahmebehörde festzustellen, die vielfach nur noch wertlose Hostelgutscheine und – wenn überhaupt – eine willkürlich auf 6 Euro/Tag gekürzte Sozialhilfe ausgibt sowie eine Bescheinigung, dass leider keine Abfertigung möglich gewesen sei und eine Wiedervorsprache an einem Termin 6 bis 10 Wochen später erfolgen solle. In diesen Fällen wird rechtswidrig kein Asylverfahren eingeleitet und anstelle der Büma ein vom LAGeSo frei erfundenes Identitätspapier ausgegeben.

Derzeit soll es 2500 bis 3000 Personen geben, die nur ein provisorische LAGeSo-Bescheinigung besitzen. Dies sieht die Sozialverwaltung als großes Problem an, das man jetzt abarbeiten müsse.

Beispiel einer solchen rechtswidrigen Nichtabfertigungs-Bescheinigung des LAGeSo aus 2015 sowie einer richtigen BüMA aus 2012 siehe
BUeMAfalsch2015_BUeMAmitLaufzettel2012.pdf

Laut Sozialsenator Czaja sind aktuell ca. 1.300 Menschen in Hostels untergebracht, davon 500 in vertragsgebundenen Hostels mit festgebuchten Plätzen – d.h. 800 Personen haben einen Hostelgutschein ohne Zuweisung eines konkreten Platzes. Wie viele von ihnen real obdachlos sind, weil sie kein Hostel gefunden haben ist nicht bekannt, es dürfte aber die große Mehrzahl sein.

Bürgermeister Müller sagte, das Ziel der Wohnungsunterbringung könnten wir angesichts der aktuellen Notsituation vergessen und und auch von Unterbringungsstandards verabschieden. Frau Kern vom BBU- Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. berichtete, dass ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen über vier Monate hinweg vergeblich versucht hätte, dem LAGeSo 140 unsanierte Wohnungen eiges zur Vermietung an Asylsuchende anzubieten, vom LAGeSo sei jedoch schlicht keine Antwort gekommen und dies schließlich dann mit der Urlaubszeit begründet worden. Das Wohnungsunternehmen sei verärgert, werde nunmehr die Wohnungen jett sanieren und auf dem normalen Wohnungsmarkt vermietet.

Sozialsenator Czaja beklagte, dass es im LAGeSo immer noch kein funktionierendes Belegungsmanagement gebe. Die BUL hat offenbar keinen tagesaktuellen Überblick mehr, wie viele und welche Plätze (passend für eine Einzelperson, passend für eine Familie) in den Wohnheimen aktuell frei sind.

Laut Bildungs- und Jugendsenatorin Scheeres gab es 2014 einen Durchlauf (Vorsprache, Altersfeststellung und Prüfung der Inobhutnahme) von 1000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF), in 2015 bisher Durchlauf von 3000 UMF. Aktuell gibt es in Berlin eine nach Feststellungen des Flüchtlingsrates eine Wartefrist bis zur Inobhutnahme von drei Monaten, bis dahin werden die Jugendlichen rechtswidrig ohne soziale Leistungen und ohne Betreuung zB in Ferieneinrichtungen für Jugendliche, bei Verwandten, in Hostels oder Gemeinschaftsunterkünften usw. untergebracht. Frau Scheeres bestätigte im Grundsatz den Tatbestand, beantwortete Nachfragen dazu jedoch nicht.

Die von ihrer Staatseketärin unterzeichnete Antwort auf eine Abgeordnetenhausanfrage der Piraten http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/s17-16830.pdf zur Beschulung der Kindern Asylsuchender aus Gemeinschaftsunterkünften – 29 % aller schulpflichtigen Kinder im Grundschulalter in Berliner Gemeinschaftsunterkünften haben keinen Schulplatz –  erklärte Senatorin Scheeres für falsch. Die von der Sozialverwaltung zugelieferten Daten seien unzutreffend. Dabei verfügt ihre Verwaltung insoweit garnicht über eigene Datenquellen. Der Auftritt der Bildungssenatorin war eher peinlich.

Innensenator Henkel erwähnte beim Runden Tisch nur kurz, das aktuell täglich 400 Vorsprachen beim Asylbundesamt BAMF in Spandau zu verzeichnen seien, von denen nur 170 bedient werden könnten. Offenbart besteht dort ein ähnlicher Abfertigungsstau wie beim LAGeSO. Offen blieb, ob beim BAMF auch Terminkunden abgewiesen werden, die (nach Ablauf der wochenlangen provisorischen Wartebescheinigung) vom LAGeSo endlich einen BAMF-Vorsprachetermin zur förmlichen Asylantragstellung benannt bekommen haben.

Es gibt dort eine nichtöffentliche Facebook-Gruppe „Koordination Flüchtlinge am BAMF Spandau“:
https://www.facebook.com/groups/623891297713568/?fref=nf

Bürgermeister Müller berichtet beim Runden Tisch, dass am Dienstag in der Ministerpräsidenten-Runde bei Frau Merkel überlegt wurde, in den drei großen Messehallen in Selchow am Flughafen BER, in denen alle zwei Jahre (wieder vom 1. – 4. Juni 2016) die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung ILA stattfindet, ein Verteilzentrum für Asylsuchende einzurichten. Mit diesem Verteilzentrum für die östlichen Bundesländer solle München bzw. Bayern entlastet werden.

Eigentümer der in Brandenburg in Selchow am Flughafen Schönefeld zwischen alter und neuer Startbahn gelegenen Messehallen sind Gesellschaften der Länder Berlin und Brandenburg, weshalb es auch einer politischen Entscheidung der Länder Brandenburg und Berlins bedarf, das Verteilzentrum ggf. zu realisieren. Die ExpoCenter Airport Berlin Brandenburg GmbH gehört der ZukunftsAgentur Brandenburg GmbH (ZAB) und der Messe Berlin GmbH zu je 50 %, http://www.berlin-expocenter-airport.de.
Siehe auch : http://www.taz.de/Neues-Verteilzentrum-in-Schoenefeld/!5230611/

Ein zweites solches Zentrum soll ein Bundeswehrstandort in der Lüneburger Heide in Fallingbostel werden, wo man bis zu 6000 Flüchtlinge unterbringen möchte und bereits darüber räsoniert, das ein soches Lager dann auch einen Gleisanschluss benötige:
https://www.kreiszeitung.de/lokales/heidekreis/bad-fallingbostel-ort28275/grindel-einsatz-beeindruckend-notaufnahmelager-besteht-wohl-laenger-5533289.html

Ein drittes Zentrum für bis zu 10000 Flüchtlinge ist in der komplett umzäunten, für Normalbürger nicht zugänglichen ehemaligen autonomen US-Siedlung „Patrick Henry Village“ bei Heidelberg geplant:
http://www.rnz.de/…/heidelberg_artikel,-Patrick-Henry-Villa…

Die neuen Lager sind im Zusammenhang mit den Plänen der Bundesregierung zur massiven Verschärfung des  Asylrechts zu sehen.

Die Lagerpflicht soll von drei auf sechs Monate ausgeweitet werden und für Flüchtlinge vom Balkan auch darüber hinaus. Unter die Dublin-VO fallende, über andere EU-Staten eingereiste Flüchtlinge sollen garkeine Unterkunft und Versorgung mehr erhalten und unter Verstoß gegen das auch für Ausländer wie Deutsche gleichermaßen geltende Grundrecht auf menschenwürdige Existenzsicherung rechtswidrig obdachlos ausgesetzt werden.

Download Presseerklärung PRO ASYL zum Gesetzentwurf der Bundesregierung als PDF
PE_Proasyl_170915.pdf

Download Gesetzentwurf der Bundesregierung (PDF 6 MB)
GE_Asylrecht_Sept2015.pdf

Dabei steht das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1 und Art. 20 Grundgesetz Deutschen und Ausländern, die sich in Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu. Es umfasst neben der physischen Existenz auch Leistungen für ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe und zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als ein Menschenrecht. „Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss. … Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ (BVerfG-Urteil v. 18.07.2015, https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/ls20120718_1bvl001010.html, Leitsätze sowie Rn 120, 121).

Zum Flüchtlingsgipfel der Bundesregierung am 24.09.2015 ist deshalb vor dem Kanzleramt in Berlin bereits eine Demonstration geplant:
https://www.facebook.com/events/132780213738598/

Zusammenstellung: Georg Classen, 17.09.2015





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