Veröffentlicht am 31.03.2020

31.03.2020 Offener Brief an den Senat: Leistungen für Schüler*innen und Barleistungen sicherstellen, Sanktionen nach AsylbLG und SGB II stoppen!

Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum[1] für Geflüchtete auch während der Corona-Krise sicherstellen!

Offener Brief des Flüchtlingsrates Berlin zu Leistungen für Schüler*innen, Barleistungen und Sanktionen nach Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II/XII anlässlich der Corona-Krise


Sehr geehrte Frau Senatorin Breitenbach, sehr geehrter Herr Straßmeir,

ergänzend zu den Maßnahmen, die Sie und Ihre Verwaltung wegen der Corona-Krise in Hinblick auf die Geflüchteter bereits umgesetzt haben, möchten wir auf weitere Probleme aufmerksam machen und um schnellstmögliche Lösung bitten:

1)     Aussetzung aller Kürzungen und Sanktionen nach § 1a AsylbLG und § 1 Abs. 4 AsylbLG

Nach wie vor wenden das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) und die Sozialämter der Bezirke Leistungskürzungen nach § 1a AsylbLG an. Da es momentan unmöglich ist, den Mitwirkungspflichten z.B. zur Klärung der Identität nachzukommen (geschlossene Botschaften und Behörden, Reiseverbote, überlastete und/oder geschlossene deutsche Auslandsvertretungen u.a.), müssen sämtliche Leistungskürzungen nach § 1a AsylbLG unverzüglich ausgesetzt, entsprechende Bescheide aufgehoben und die vollen Leistungen rückwirkend ab März 2020 ausgezahlt werden. So hat es das MSGIV Brandenburg mit Rundschreiben vom 25.03.2020 getan. Dies sollte auch für Sanktionen bzw. Kürzungen nach §§ 5, 5a, 5b und nach § 11 Abs. 2a AsylbLG gelten.

 

Auch Leistungsausschlüsse nach § 1 Abs. 4 AsylbLG für aktuell hier aufhältige, in anderen EU-Staaten anerkannte Schutzberechtigte müssen aufgehoben werden, da ihre Ausreise derzeit faktisch unmöglich ist. Niemand darf durch Leistungskürzung oder -verweigerung gezwungen werden, derzeit auf der Straße zu leben, gegen seinen Willen auszureisen oder notwendige medizinische Behandlungen zu unterlassen.

 

2)     Gemeinsames Wirtschaften nach Berliner Corona-VO unzulässig – 10 % – Kürzung der Regelleistungen für Alleinerstehende und Alleinerziehende in Sammelunterkünften sofort aufheben

Die seit 1.9.2019 geltende 10%ige Leistungskürzung nach dem AsylbLG für alle Alleinstehenden und Alleinerziehenden in Sammelunterkünften durch Zuordnung zur Bedarfsstufe 2 wie für Ehepartner statt zur Bedarfsstufe 1 für Alleinstehende ist schon unter normalen Umständen verfassungsrechtlich höchst bedenklich.

 

Das weitere gemeinsame Wirtschaften aus einem Topf analog einer ehelichen Bedarfsgemeinschaft, das der Gesetzgeber allen alleinstehenden Bewohner*innen von Sammelunterkünften auferlegt, ist unter den gegenwärtigen Umständen allerdings unverantwortbar. Es ist nach der Berliner Corona-Verordnung unzulässig, einander fremde Menschen aufzufordern, gemeinsam einzukaufen und kochen, um mit den um 10 % gekürzten Leistungssätzen auszukommen. Die Regelleistungen müssen daher mindesten während der Corona-Krise wieder auf das normale Niveau für Personen in Mietwohnungen angehoben werden.

 

3)     Gleichen Zugang zu Schulbildung nach SGB II, SGB XII und AsylbLG sicherstellen

Während der Schulschließungen ist es für die Schüler*innen notwendig, Zugang zum auf Online-Plattformen oder per E-Mail usw. bereitgestelltem Unterrichtsmaterial zu haben, um den Anschluss an den Unterricht nicht zu verlieren. Das Material ist teils online zu bearbeiten, teils auszudrucken und gescannt an die Lehrenden zu schicken. Viele geflüchtete Schüler*innen und ihre Familien besitzen keinen Laptop oder Computer, auch Drucker fehlen. In den meisten Berliner Flüchtlingsunterkünften fehlt ein stabiler WLAN Zugang in den Wohnbereichen. Dies gilt erst recht für die ASOG-Unterkünfte in den Bezirken. Auch manche Geflüchtete in einer Wohnung sind noch nicht entsprechend ausgestattet.

Hier muss sofort gehandelt werden, um eine Benachteiligung geflüchteter Kinder und Jugendlicher zu verhindernund die schwierigen, unterbrochenen Bildungsbiographien nicht ganz zu zerstören.

Wir fordern die Übernahme der Kosten für Laptops und Drucker und ggf. für alle nach SGB II, SGB XII bzw. AsylbLG leistungsberechtigten Familien mit Schulkindern. Wir fordern die Installation eines kostenfreien stabilen WLANs in allen Wohnbereichen von LAF- und ASOG-Unterkünften. Solange in der Wohnung oder Unterkunft ein stabiles WLAN nicht herstellbar ist, müssen nach SGB II bzw. AsylbLG auch die Kosten für einen Surfstick mit LTE-Flatrateübernommen werden. Die Leistungsberechtigten sind über die Möglichkeit zur Antragstellung per Email zu informieren.

Als Sofortmaßnahme sollten in jeder Unterkunft mindestens zwei Rechner mit Druckmöglichkeit bereitgestellt werden, die ähnlich eines Copyshops ggf. unter Anleitung genutzt werden können. Die Druckmöglichkeit ist auch notwendig für Menschen, die ihre befristeten Aufenthaltstitel beim Landesamt für Einwanderung (LEA) online verlängern und hierzu die online generierte Bescheinigung ausdrucken müssen.

4)     „Barleistungsempfänger*innen“ schützen

Leistungsempfänger*innen ohne Bankkonto werden nach wie vor aufgefordert, persönlich beim LAF in der Darwinstraße bzw. den Bezirksämtern vorzusprechen, um ihre Barleistungen zu erhalten. So z.B. ausdrücklich das LAF mit Rundschreiben vom 25.03.2020 https://fluechtlingsrat-berlin.de/laf_info8_25maerz/

Hier muss schnellstens eine Lösung gefunden werden, damit die Menschen nicht mehr quer durch die Stadt fahren und mit anderen Menschen im Wartebereich des LAF oder eines Bezirksamtes anstehen müssen. Denkbar wäre es, wie bei den Jobcentern Barcodes zu verschicken, die an Supermarktkassen eingelöst werden. Besser wären allerdings Vereinbarungen mit Banken über Einmalkarten, die ohne Gebühren an normalen Geldautomaten eingelöst werden können.

Für Fragen stehen wir gerne per E-Mail oder telefonisch (wg. Homeoffice lange klingeln lassen) zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

für den Flüchtlingsrat Berlin

Nora Brezger
Georg Classen

[1] Zum durch den Staat für alle hier lebenden Deutsche und AusländerInnen gleichermaßen zu gewährleistenden Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vgl. das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012, www.bverfg.de/e/ls20120718_1bvl001010.html

 





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